Ñāṇārāma Mahāthera.Die Sieben Betrachtungen
- Zwei Wissen




Zwei Arten des Wissens



Die beim Studium des Dhamma erworbene Gelehrsamkeit ist theoretisches Wissen, welches auf "Hören" oder Lernen beruht (sutamaya-ñāna). Dieser Wissenstyp ist auf die konventionelle Ebene beschränkt. Direktes persönliches Verstehen des Dhamma, erlangt durch Einsichtsmeditation, ist Erfahrungswissen, auf Meditation beruhendes Wissen (bhāvanāmaya-ñāna).

Umfassendes Lernen ist nicht unbedingt nötig für einen Meditierenden, der bei einem erfahrenen Meditationsmeister wohnt und unter seiner Anleitung praktiziert. Dies ist so, weil er die nötigen Anleitungen vom Lehrer systematisch zu den angemessenen Zeiten erhält. Eine Person, die Meditation ohne solche persönliche Führung praktiziert, wird ein sehr klares theoretisches Wissen über den Pfad der Meditation benötigen. Geschichten über einige der früheren Mönche, die für sich allein praktizierten, zeigen, dass sie ganz am Anfang von ihren Lehrern genügend theoretisches Wissen über den Weg der Praxis bis hin zur Arahantschaft erhalten hatten. Erst nachdem sie dieses Wissen gemeistert hatten, suchten sie in der Abgeschiedenheit Zuflucht, um zu praktizieren, was sie gelernt hatten. Es scheint, dass im Visuddhimagga und in den Kommentaren eine Methode der Geistesentfaltung angedeutet worden ist, in der auf Meditation beruhendes Wissen ausschlieálich durch Anleitung von Wissen erzeugt werden kann, welches auf Lernen beruht. Das Verzeichnis des Wissens (ñāna-mātikā) im Pañisambhidāmagga hebt auch auf Lernen beruhende Erkenntnis hervor.

Wissen, das sich auf Lernen gründet, kann manchmal ein Hindernis beim Meditieren werden. Der Meditierende, der die verschiedenen Stufen auf dem Pfad der Praxis kennt, mag ihr Entstehen erwarten. Zuweilen mag er sich täuschen in der Annahme, er hätte sie erreicht. Wenn die Meditation sich ordentlich entwickelt, frohlockt er und haftet an seinen Erlebnissen, beginnt, sich etwas einzubilden oder macht sich eine falsche Ansicht zu Eigen; wenn sie sich nicht normal entwickelt, wird er entmutigt und enttäuscht. Wenn solche Situationen nicht prompt durch eigene intelligente Prüfung oder durch den Rat eines Lehrers überwunden werden, wird die Meditation degenerieren.

Darum sollte der mit theoretischem Wissen ausgestattete Meditierende immer den Vorrang des auf Meditation beruhenden Wissens anerkennen. Obwohl theoretisches Wissen als eine Hilfe zur Erzeugung des auf Meditation basierenden Wissens verwendbar ist, sollte man vorsichtig sein und diese zwei nicht gleichsetzen.

Theoretisches Wissen kann zur Beseitigung bestimmter Hindernisse auf dem Meditationspfad verwendet werden. Zum Beispiel kann der Meditierende, der sich der "Unreinheiten der Einsicht" (vipassan´-upakkilesa) bewusst ist, welche während der Anfangsstadien des Wissens vom Auf- und Untergang einsetzen können, dieses Wissen zu deren Überwindung hilfreich finden. Theoretisches Wissen kann auch helfen, in herkömmlichen Begriffen die in der Meditation erreichten Realisierungen zu identifizieren. Wenn man durch Meditationswissen die Natur des Erd-Elements realisiert, folgt die Identifizierung dessen als das "Erd-Element" nur, wenn man das geeignete theoretische Wissen hat. Der Fortschritt der Meditation ist jedoch nicht abhänging von der Fähigkeit, die speziellen in der Praxis erreichten Realisierungen in konventionellen Begriffen zu verstehen. Das ist so, weil Einsichtsmeditation, die auf die Durchdringung der letztendlichen Realitäten gerichtet ist, die Ebene der herkömmlichen Realitäten übersteigt. Beschäftigtsein mit konventionellen Begriffen kann tatsächlich ein Hindernis bei der Meditation sein. Es entsteht kein Schaden, wenn die Zuordnung der Meditationserlebnisse zu den konventionellen Begriffen spontan erfolgt. Aber ansonsten sollte die Betrachtung ohne Tändelei mit begrifflichen Interpretationen fortgesetzt werden.

Die Realisierung der Wahrheit kann nur durch Meditationswissen vollendet werden. Durch Wissen, was auf Lernen und Vernunft beruht, kann nur eine teilweise Meisterung der Wahrheit erreicht werden. Darum sollte man ohne Selbstzufriedenheit über seine einstudierte Fertigkeit und seine Vernunftkräfte jede Anstrengung machen, um direktes Wissen zu erlangen, was nur durch Einsichtsmeditation möglich ist.




Ñāṇārāma Mahāthera. Die Sieben Betrachtungen der Einsicht. © Theravadanetz.