Ñāṇārāma Mahāthera.Die Sieben Betrachtungen
- Die 18 Haupteinsichten




Die achtzehn Haupteinsichten
  1. Betrachtung 8: "Einer, der die Betrachtung der Zerstörung entfaltet, gibt die Anschauung von Kompaktheit auf."
  2. Betrachtung 9: "Einer, der die Betrachtung des Untergangs entfaltet, gibt die Anhäufung der Gestaltungen (oder des Kamma) auf."
  3. Betrachtung 10: "Einer, der die Betrachtung der Veränderung entfaltet, gibt die Auffassung von Stabilität auf."
  4. Betrachtung 11: "Einer, der die Betrachtung der Kennzeichenlosigkeit entfaltet, gibt die Kennzeichen auf."
  5. Betrachtung 12: "Einer, der die Betrachtung der Wunschlosigkeit entfaltet, gibt das Verlangen auf."
  6. Betrachtung 13: "Einer, der die Betrachtung der Leere entfaltet, gibt die Anhaftung auf."
  7. Betrachtung 14: "Einer, der die 'Einsicht in die Phänomene, welche höhere Weisheit ist' entfaltet, gibt die Anhaftung am Greifen nach Substanz auf."
  8. Betrachtung 15: "Einer, der richtiges Wissen und Sehen entfaltet, gibt das Anhaften an der Verwirrung auf."
  9. Betrachtung 16: "Einer, der die Betrachtung der Gefahr entfaltet, gibt die Neigung (zu den Gestaltungen), die auf Anhaftung beruht, auf."
  10. Betrachtung 17: "Einer, der die Betrachtung des Nachdenkens entfaltet, gibt das Nicht-Nachdenken auf."
  11. Betrachtung 18: "Einer, der die Betrachtung des Abweisens entfaltet, gibt die Neigung zur Knechtschaft auf."

Schlussbetrachtung
ANMERKUNGEN ZUM ABSCHNITT

1. Die achtzehn Haupteinsichten
Die sieben Einsichtsbetrachtungen treten als die ersten sieben Glieder einer Liste von achtzehn Haupteinsichten (atthārasa mahā-vipassanā) auf. Eine recht vollständige Analyse der sieben Betrachtungen wurde gerade vorgestellt. Nun beabsichtigen wir, eine kurze Beschreibung der restlichen elf Einsichten anzubieten und die verschiedenen Methoden zu vergleichen, nach denen sie von den großen Dhamma-Auslegern der Theravāda-Tradition charakterisiert wurden.

Der Patisambhidāmagga ist das einzige Werk im Tipitaka, welches alle achtzehn Einsichten erwähnt, aber er arbeitet sie nicht vollständig aus. Im Visuddhimagga finden wir die erste analytische Erörterung aller achtzehn Einsichten zusammen.12 Hier wird festgestellt, dass diese Einsichten sich in einer Weise entfalten, die den unterschiedlichen Stufen der Einsichtsmeditation entspricht. Aber ein späteres Werk, der Kommentar zum Patisambhidāmagga, führt an, dass der Einsichtspfad allmählich vollendet wird, indem sich alle Betrachtungen nacheinander zusammenschließen wie eine Treppenflucht.13 Diese Art und Weise des Kommentars, die Einsichten nacheinander vorzustellen, beruht auf dem Kapitel "Erörterung der Fähigkeiten" (Indriyakathā) im Patisambhidāmagga, welches genauso eine Aufeinanderfolge vorstellt.14

Folglich zeigen diese beiden wichtigen Werke - der Visuddhimagga und der Patisambhidāmagga-Kommentar - deutliche Unterschiede in ihrer Interpretation spezieller Betrachtungen. Im Folgenden wollen wir solche Unterschiede zeigen, wann immer sie vorkommen, und getrennt auf die zwei Erklärungsmethoden verweisen als "Vism.-Erkl." und als "PmA.-Erkl.". Die erstere wird sich sowohl auf den Visuddhimagga wie auch auf seinen Kommentar, die Visuddhimagga Mahātīkā (Vism-T.) - auch als Paramattha-mañjūsā bekannt - beziehen.

* * *



2. Betrachtung 8: "Einer, der die Betrachtung der Zerstörung entfaltet, gibt die Anschauung von Kompaktheit auf."
(khayānupassanam bhāvento ghanasaññam pajahati)

Vism.-Erkl. (XXII,114): "Die Betrachtung der Zerstörung ist das Wissen von einem, der die Auflösung des Kompakten herbeiführt und so die Zerstörung als 'unbeständig im Sinne von Zerstörung' erkennt."

PmA.-Erkl. (74): "Die Betrachtung der Zerstörung ist das Erkennen der Zerstörung der existierenden Anhäufungen, sofort gefolgt vom Erkennen der Zerstörung des selben Geistes und der Geistfaktoren, die diese Anhäufungen wahrnehmen."

Die Auflösung der Kompaktheit in Kontinuität (santati-ghana) geschieht zuerst auf den Ebenen des Verständniswissens (sammasana-ñāna) und des Wissens vom Auf- und Untergang (udayabbaya-ñāna). Die Beobachtung, dass "es unbeständig im Sinne von Zerstörung ist", gehört zum Verständniswissen (Pm.I,53). Folglich analysiert die PmA. abweichend von der im Vism. gelieferten Erklärung die Betrachtung der Zerstörung unter dem Stadium des Auflösungswissens (bhanga-ñāna). Auch die Vism-T., die die Erklärung des Vism. anerkennt, erklärt an einer Stelle, dass Betrachtung der Zerstörung Betrachtung der augenblicklichen Auflösung der Gestaltungen bedeutet (II,417).

In Begriffen der sieben Betrachtungen jedoch würde diese Betrachtung entweder ein Bestandteil der Betrachtung der Unbeständigkeit oder der des Aufhörens sein.

Obwohl die PmA. sagt, dass die Wahrnehmung von Kompaktheit die Vorstellung einer Kontinuität als eine kompakte Wesenheit bedeutet, stellen die Subkommentare fest, dass diese Wahrnehmung auf vier Kategorien von Kompaktheit verweist: Die Kompaktheit als Kontinuität (santati-ghana), die Kompaktheit als Ansammlung (samūha-ghana), die Kompaktheit als Wirksamkeit (kicca-ghana) und die Kompaktheit von Objekten (ārammana-ghana)15. Da die Betrachtung der Zerstörung eine Meditation über die Unbeständigkeit ist, erscheint die Interpretation der PmA. akzeptabel.



3. Betrachtung 9: "Einer, der die Betrachtung des Untergangs entfaltet, gibt die Anhäufung der Gestaltungen (oder des Kamma) auf."
(vayānupassanam bhāvento āyåhanam pajahati)

Die Betrachtung des Untergangs wird definiert als gespannte Aufmerksamkeit auf das Aufhören, d.h. auf die Auflösung, nach dem Erkennen der Auflösung der gegenwärtigen Gestaltungen durch persönliche Erfahrung und der vergangenen und zukünftigen Gestaltungen durch Schlussfolgerung16. Es zeigt sich, dass in der dargestellten Auslegung der Vism. sich folgende im Kapitel über das Auflösungswissen (bhanga-ñāna) im Pm. vorkommende Strophe zunutze macht:

ārammanam anvayena ubho ekavavatthanā
Nirodhe adhimuttatā vayalakkhanā vipassanā.
"Definierend beide als gleich
Durch Schlussfolgerung vom gleichen Objekt
Auf das Aufhören gespannte Aufmerksamkeit - diese
Sind Einsicht in das Merkmal des Untergangs."

Folglich ist auch die Betrachtung des Untergangs entweder ein Bestandteil der Betrachtung der Unbeständigkeit oder der des Aufhörens.



4. Betrachtung 10. "Einer, der die Betrachtung der Veränderung entfaltet, gibt die Auffassung von Stabilität auf."
(viparināmānupassanam bhāvento dhuvasaññam pajahati)

Vism.-Erkl.: "Die Betrachtung der Veränderung ist das Erkennen der zweifachen Veränderung in allem, was auch immer entstanden ist, d.h. durch Verfall und Tod, oder sie ist das Erkennen der Umänderung jedes Zustandes, der bestimmt wird durch die materielle Siebenheit."17

PmA.-Erkl.: "Die Betrachtung der Veränderung ist das Wissen, welches die veränderliche Natur aller zu den drei Zeiten - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - gehörenden Gestaltungen sieht, wenn man total von deren Auflösung in Anspruch genommen ist."

Hier hebt der Vism. das Verständniswissen hervor, während die PmA. das Auflösungswissen hervorhebt. Die Betrachtung der Veränderung ist noch ein anderer Aspekt der Betrachtung der Unbeständigkeit.



5. Betrachtung 11: "Einer, der die Betrachtung der Kennzeichenlosigkeit entfaltet, gibt die Kennzeichen auf."
(animittānupassanam bhāvento nimittam pajahati)

Der Meditierende, der wiederholt beobachtet, dass Gestaltungen keine beständigen "Kennzeichen" oder Merkmale haben, gibt die Gewohnheit auf, Gestaltungen einheitlich als mit beständigen Kennzeichen versehen zu betrachten. Hier bedeutet "Kennzeichen" (nimitta) die grobe Natur, die in der Wahrnehmung der Kontinuität der Gestaltungen als einem beständigen und kompakten Ganzen enthalten ist. Die Betrachtung der Kennzeichenlosigkeit ist ein Aspekt der Betrachtung der Unbeständigkeit (Vism. XX, 91).



6. Betrachtung 12: "Einer, der die Betrachtung der Wunschlosigkeit entfaltet, gibt das Verlangen auf."
(appanihitānupassanam bhāvento panidhim pajahati)

Einer, der wiederholt die Wahrnehmung des Mangels an Wünschenswertem in Gestaltungen entfaltet, gibt das sehnsüchtige oder gierige Aufgehen in den Gestaltungen auf. Dies ist ein Aspekt der Betrachtung des Leidens (Vism. XX, 91).



7. Betrachtung 13: "Einer, der die Betrachtung der Leere entfaltet, gibt die Anhaftung auf."
(suññatānupassanam bhāvento abhinivesam pajahati)

Einer, der die Leere an Selbstheit in den Gestaltungen betrachtet, gibt das Haften an der Ansicht von einem Selbst auf. Dies ist ein Aspekt der Betrachtung des Nicht-Selbst.18



8. Betrachtung 14: "Einer, der die 'Einsicht in die Phänomene, welche höhere Weisheit ist' entfaltet, gibt die Anhaftung am Greifen nach Substanz auf."
(adhipaññā-dhammavipassanam bhāvento sārādānābhinivesam pajahati)

Bei der Interpretation dieser Betrachtung liefert der Vism. selbst unterschiedliche Erklärungen in unterschiedlichen Kapiteln:

(I) XX,91: "Die 'Einsicht in die Phänomene, welche höhere Weisheit ist' umfasst alle Formen der Einsichtsmeditation."

(II) XXII,118: "Die 'Einsicht in die Phänomene, welche höhere Weisheit ist' ist die Einsicht in die Leere durch Auflösung und geschieht so: 'Nur Gestaltungen lösen sich auf; es ist der Tod der Gestaltungen, der sich abspielt; mehr gibt es nicht.' Diese Einsicht resultiert aus dem Erkennen der Auflösung sowohl des Objekts als auch des Geistes, der dieses Objekt wahrnahm."

PmA. billigt die zweite dazu gegebene Charakterisierung. Diese Definition scheint auf einer Strophe zu beruhen, die im Kapitel über das Auflösungswissen angeführt wird, wo wir die Redewendung „Einsicht, das ist höhere Weisheit" (adhipaññā-vipassanā) finden19. Der vollständige Ausdruck "Einsicht in die Phänomene, welche höhere Weisheit ist" (adhipaññā-dhammavipassanā) erscheint in verschiedenen Lehrreden des Anguttara-Nikāya, wo ihr eine umfassende Bedeutung zukommt, die alle drei Stufen des Pfades der Einsichtsmeditation einschließt: Erkennen (datthabba), Verstehen (sammasitabba) und eigentliche Einsicht (vipassitabba)20. Diese Hypothese wird ferner bekräftigt durch die Darlegung im Puggalapaññatti, die behauptet, dass die Person, die ausgestattet ist mit Einsicht in die Phänomene, welche höhere Weisheit ist, ein Gewinner der Pfade und Früchte ist21. Die Redewendung adhipaññā-dhamma-vipassanā bezeichnet dann nicht eine einzelne Stufe oder einen einzelnen Aspekt der Einsicht, sondern ist eine allgemeine Bezeichnung für die wahre Einsicht selbst. Folglich ist die erste Definition des Vism. dazu passender, in welchem Falle es eher schwierig wird, die Redewendung adhipaññā-dhammavipassanā als für eine Einzelbetrachtung geltend anzusehen. Wir sollten ferner vermerken, dass im Gegensatz zu den Namen der anderen Betrachtungen dieser Serie diese Benennung nicht auf - anupassanā endet.



9. Betrachtung 15. "Einer, der richtiges Wissen und Sehen entfaltet, gibt das Anhaften an der Verwirrung auf."
(yathābhåtañānadassanam bhāvento sammohābhinivesam pajahati)

Dies bedeutet, dass die Person, welche die Einsicht in die wahre Natur der Gestaltungen entfaltet, die Neigung aufgibt, wegen der Natur der Gestaltungen verwirrt zu werden.

Vism.-Erkl.: "Richtiges Wissen und Sehen ist das Verstehen von Geist und Materie zusammen mit ihren Ursachen und Bedingungen, das bedeutet das Wissen von der Abgrenzung von Geist und Materie und von der Einsicht in die Bedingungen" (Vism. XXII, 119).

PmA.-Erkl.: "Richtiges Wissen und Sehen ist das Wissen vom Erscheinen des Schreckens; dies ist die Vergegenwärtigung, dass die Gestaltungen mit Schrecken behaftet sind, verursacht durch das Erkennen ihrer Auflösung."

Da diese zwei Feststellungen auf unterschiedliche Einsichtsstufen verweisen, müssen wir auf Buddhas eigene Worte zurückgreifen, um zu entdecken, was wirklich gemeint ist mit "richtiges Wissen und Sehen" (yathābhūta-ñānadassana). In einer Anzahl von Lehrreden empfiehlt der Buddha eine unfehlbare Methode zur Entfaltung von Leidenschaftslosigkeit durch Abwendung22. Letztere resultiert aus richtigem Wissen und Sehen, was wiederum aus Konzentration entsteht. Hieraus wird klar, dass richtiges Wissen und Sehen den ganzen Prozess der Einsichtsmeditation vom Beginn bis hin zum Abwendungswissen oder der gereiften Betrachtung der Abwendung durchzieht. Diesbezüglich sagt der Samyutta-Kommentar, dass "richtiges Wissen und Sehen" sich vom Wissen von der Abgrenzung von Geist und Materie bis hin zum Wissen, was Pfad und was Nicht-Pfad ist (d.h. das reife Wissen vom Auf- und Untergang) erstreckt, während "Abwendung" sich vom Wissen vom Sichtbarwerden des Schreckens bis zum Wissen vom Gleichmut gegenüber den Gestaltungen hinzieht23. An einigen Stellen stellen die Kommentare zu den oben erwähnten Lehrreden fest, dass "richtiges Wissen und Sehen" anfängliche Einsicht (taruna-vipassanā) ist, während "Abwendung" gereifte Einsicht (balava-vipassanā) darstelt 24. Daher ist es offensichtlich, dass "richtiges Wissen und Sehen" keine einzelne Betrachtung repräsentiert, sondern eine Redewendung ist, die eine Teilstrecke entlang des Pfades der Einsichtsmeditation bezeichnet, welche eine Anzahl von Betrachtungen umfasst. Auch hier endet die Bezeichnung yathābhūta-ñānadassana nicht auf -anupassanā. Weil "richtiges Wissen und Sehen" einen so weiten Bereich einschließt, ist dieser Ausdruck anderswo zur Bezeichnung bestimmter anderer Verwirklichungsstufen verwendet worden.25



10 .Betrachtung 16: "Einer, der die Betrachtung der Gefahr entfaltet, gibt die Neigung (zu den Gestaltungen), die auf Anhaftung beruht, auf."
(ādīnavānupassanam bhāvento ālayābhinivesam pajahati)

Einer, der die Meditation durch wiederholte Untersuchung der in den Gestaltungen enthaltenen Gefahren entfaltet, gibt die Neigung zu den Gestaltungen, die auf Anhaften beruhen, auf. Sowohl der Vism. als auch die PmA. setzen diese Betrachtung mit dem Wissen von der Gefahr gleich, welches aus dem Wissen vom Sichtbarwerden des Schreckens hervorgeht. Die PmA. stellt weiter fest, dass auch die Betrachtung der Abwendung in dieser Betrachtung der Gefahr mit eingeschlossen ist, welche wiederum ein Aspekt der Betrachtung des Leidens ist.



11. Betrachtung 17: "Einer, der die Betrachtung des Nachdenkens entfaltet, gibt das Nicht-Nachdenken auf."
(patisankhānupassanam bhāvento appatisankham pajahati)

Einer, der wiederholt mit Weisheit die drei Merkmale sieht, gibt die Täuschung auf, die hier "Nicht-Nachdenken" genannt wird.

Vism.-Erkl.: "Die Betrachtung des Nachdenkens ist das Wissen vom Nachdenken, welches das Hilfsmittel zum Erreichen der Befreiung von den Gestaltungen darstellt." (Vism. XXII, 120).

PmA.-Erkl.: "Die Betrachtung des Nachdenkens ist eine Kombination der Betrachtungen der Unbeständigkeit, des Leidens und des Nicht-Selbst, verursacht durch das Wissen vom Wunsch nach Befreiung; es gewährleistet das Erreichen der Freiheit von den Gestaltungen. Diese Betrachtung enthält alle drei Einsichtswissen vom Wunsch nach Befreiung, vom Nachdenken und vom Gleichmut gegenüber den Gestaltungen."



12. Betrachtung 18: "Einer, der die Betrachtung des Abweisens entfaltet, gibt die Neigung zur Knechtschaft auf."
(vivattānupassanam bhāvento samyogābhinivesam pajahati)

Die Person, welche die Betrachtung des Abweisens der Gestaltungen entfaltet, gibt, sich zum Nibbāna neigend, die starke Neigung zu den Gestaltungen auf, welche durch die innige Verbindung mit ihnen entsteht.

Vism.-Erkl.: "Die Betrachtung des Abweisens schließt die zwei Wissen vom Gleichmut gegenüber den Gestaltungen (sankhār´upekkhā-ñāna) und der Anpassung (anuloma-ñāna) ein. Hier weist der Geist alle Gestaltungen ab und schaudert vor ihnen zurück."26

PmA.-Erkl.: "Die Betrachtung des Abweisens ist das Wissen vom Abstammungswechsel (gotrabhū), welches aus dem Anpassungswissen hervorgeht." (Das Fehlen eines hinweisenden Bewusstseins für die Betrachtung des Abweisens im Patisambhidāmagga ist der Grund für diese Folgerung.)27

Das Wissen vom Abstammungswechsel tritt nur in einem einzigen Bewusstseinsmoment auf. Wenn dieses identisch ist mit der Betrachtung des Abweisens, entsteht ein Problem beim Unterbringen des Gedankens "wiederholt", der im Begriff anupassanā enthalten ist. (Es ist wahr, dass das überweltliche Pfad-Wissen, das auch nur in einem einzigen Bewusstseinsmoment vorkommt, in den Kommentaren erwähnt wurde als die Betrachtungen der Leidenschaftslosigkeit, des Aufhörens und des Loslassens28; aber diese sind nur Alternativen zu den entsprechenden weltlichen Betrachtungen.) Die Betrachtung des Abweisens kann als eine Betrachtung des Loslassens angesehen werden.



Schlussbetrachtung
Obwohl eine gewisse sich entwickelnde Reihe in den sieben Betrachtungen wahrgenommen werden kann, scheint solch eine Weiterentwicklung in Bezug auf die achtzehn Haupteinsichten als Serie unhaltbar zu sein. Eine fortlaufende Weiterentwicklung nachzuweisen, würde zu absurden Schlüssen führen. Die Betrachtung der Gefahr müsste dann der der Abwendung folgen. Die Betrachtungen der Leidenschaftslosigkeit, des Aufhörens und des Loslassens sind ebenfalls reife Betrachtungen, die sich bis hin zur Vollendung der Einsicht erstrecken. Wenn man die Betrachtungen der Zerstörung, des Untergangs und der Veränderung nach ihnen vorstellt, würde dies eine Rückentwicklung in der Einsicht zeigen. In den Lehrreden des Buddha werden die Betrachtungen der Zerstörung und des Untergangs generell vor denen der Leidenschaftslosigkeit, des Aufhörens und des Loslassens angeführt.29

Gerade die Betrachtungen der Kennzeichenlosigkeit, der Wunschlosigkeit und der Leerheit sind darauf ausgerichtet, Tore zur Befreiung zu bilden, welche auf dem Gipfel der Einsichtsmeditation wirksam werden. Daher können die Einsicht in die Phänomene, welche höhere Weisheit ist, richtiges Wissen und Sehen und die Betrachtung der Gefahr ihnen zeitlich nicht nachfolgen, weil dies einen Rückfall darstellen würde. Ferner sind, wie zuvor gezeigt wurde, die Einsicht in die Phänomene, welches höhere Weisheit ist, und richtiges Wissen und Sehen keine einzelnen Betrachtungen, die auf ein einziges Stadium beschränkt sind, sondern allgemeine Begriffe, die weite Bereiche der Einsichten umfassen.

Ähnlich kann die Betrachtung des Nachdenkens im buchstäblichen Sinn als ein übergeordneter Begriff aufgefasst werden. Zugleich sind bestimmte Betrachtungen anderen sehr ähnlich (z.B. die Betrachtungen der Zerstörung und des Untergangs).

In diesem Fall würde es besser sein, diese Serie von achtzehn Haupteinsichten nicht als eine geradlinige Folge von Betrachtungen zu verstehen, sondern als einen Leitfaden von Betrachtungen, die verschiedenartigen Quellen entnommen worden sind. Mehrere dieser Folgen überschneiden sich teilweise. Die drei Betrachtungen der Unbeständigkeit, des Leidens und des Nicht-Selbst sind am Kopf der Liste plaziert worden, da sie das zentrale Fundament für das ganze System der Einsichtsmeditation bilden. Weil sie den Einsichtspfad in seiner Ganzheit durchziehen, können diese drei als ein selbständiges System der Einsichtsmeditation behandelt werden.

Als nächstes umfasst die Serie, in der die Betrachtungen des Leidens, der Unbeständigkeit, des Nicht-Selbst, der Abwendung und der Leidenschaftslosigkeit enthalten sind, ein anderes hervorragendes System der Einsichtsmeditation. Die Betrachtungen der Unbeständigkeit, des Aufhörens, der Leidenschaftslosigkeit, und des Loslassens bilden noch eine andere bedeutsame Gruppe. Eine andere Serie wird erzielt durch Hinzufügen der Betrachtung des Untergangs (vaya) zur zuletzt erwähnten Vierergruppe (siehe S.IV, 211-12). Ein paar mehr solcher Einteilungen der sieben Hauptbetrachtungen wurden zuvor in Kapitel 8 erwähnt.

Die siebenteilige Gruppe enthält ein anderes bedeutendes System. Mehrere zusätzliche Gruppen sind auch gebildet worden durch das Verbinden einiger der sieben mit den Betrachtungen der Zerstörung und des Untergangs (z.B. Unbeständigkeit, Leiden, Nicht-Selbst, Zerstörung, Untergang, Leidenschaftslosigkeit, Aufhören und Loslassen: A.V,360-61; Zerstörung, Verfall, Leidenschaftslosigkeit, Aufhören: S. II,60). Manchmal wird auch die Betrachtung der Veränderung hinzugefügt (z.B. Unbeständigkeit, Zerstörung, Untergang, Leidenschaftslosigkeit, Aufhören, Veränderung: S. IV,216-17).

Noch eine andere Klassifizierung beinhaltet richtiges Wissen und Sehen, Abwendung und Leidenschaftslosigkeit. Verschiedene Systeme der Einsichtsmeditation können aus den Lehrreden improvisiert werden, in denen der Begriff saññā (Wahrnehmung) benutzt worden ist, um eine Meditationsmethode zu bezeichnen (z.B. die Wahrnehmungen der Unbeständigkeit, des Nicht-Selbst, der Widerwärtigkeit, der Gefahr, des Aufgebens, der Leidenschaftslosigkeit, des Aufhörens: D.II,79; III,253, 282).

Viele Systeme der Einsichtsmeditation dieses Typs, die in den Lehrreden des Buddha vorkommen, können in die achtzehn Haupteinsichten aufgenommen werden. Darum können wir folgern, dass diese Serie von achtzehn Einsichten ein Leitfaden ist, welchen die alten Lehrer zusammenstellten durch Verbinden der als Betrachtungen bezeichneten Meditationen mit anderen Meditationen, welche, obwohl nicht als solche aufgeführt, dennoch zu dieser allgemeinen Kategorie gehören.

Diese Folge von achtzehn Haupteinsichten kann auch als eine abgestufte Serie mit bestimmten Fortschrittsstufen analysiert werden. Ein Meditierender, ausgestattet mit guter sittlicher Kraft, die durch die Praxis der Vollkommenheiten (pāramī) erlangt wurde, kann leicht die ersten drei Betrachtungen ausführen, gefolgt von einer gründlichen Betrachtung der Abwendung; danach kann er den Höhepunkt der Einsicht durch die Betrachtung der Leidenschaftslosigkeit erreichen. Einer, dem dies misslingt, hat alle sieben Betrachtungen zu entwickeln. Wenn ihm das trotzdem misslingt, muss er in den Betrachtungen der Zerstörung, des Untergangs und der Veränderung vorankommen und dann den Höhepunkt der Einsicht durch eine der drei Betrachtungen der Kennzeichenlosigkeit, der Wunschlosigkeit oder der Leere erreichen. Die höhere Weisheit der Einsicht in die Phänomene kann als Verkörperung aller hier erwähnten Betrachtungen verstanden werden. Und dann können richtiges Wissen und Sehen, gefolgt von den Betrachtungen der Gefahr, des Nachdenkens und des Abweisens, als noch ein anderes selbständiges System angeführt werden.

Der Einsichtspfad kann außerdem durch das Praktizieren irgend einer zur Gelegenheit passenden Betrachtung zur Reife gebracht werden, anstatt einem akzeptierten, aber strengen Muster zu folgen. Dies ist für den gewöhnlichen Meditierenden anwendbar.

Der Patisambhidāmagga stellt oft den Einsichtspfad durch die achtzehn Haupteinsichten dar, aber trotzdem liefert er keine auslegende Analyse von ihnen. Dies deutet an, dass zu der Zeit, als der Patisambhidāmagga zusammengestellt wurde, diese Serie von Hauptbetrachtungen in ihrer Anwendung so weit verbreitet war, dass eine präzise Analyse von ihnen für unnötig gehalten wurde. Aber es ist verwunderlich, dass es anderswo im Sutta Pitaka keine Anspielung auf diese Gruppe von achtzehn Einsichten gibt.

Auch heute kann der Meditierende diese achtzehn Haupteinsichten persönlich erfahren, wenn auch im Allgemeinen nicht alle Achtzehn jedem Meditierenden bescheinigt werden müssen. Ein Neuling in der Einsichtsmeditation braucht nicht die Betrachtungen einzeln eine nach der anderen zu versuchen. Aber in bestimmte Stadien, wenn man befürchtet, dass das weitere Vorankommen sich verzögert, wäre es erfolgversprechender, einer geeigneten Betrachtung besondere Aufmerksamkeit zu schenken.




ANMERKUNGEN ZU DEN 18 BETRACHTUNGEN


12 Vism.XX,89-92; XXII,113-21.


13 PmA.74-75.


14 Pm.II,12-13.


15 Z.B. VismT.II,417; DT.74.


16 Pm.I,58. Die Übersetzung der Definition und der folgende Vers beruhen auf der Interpretation des Ehrw. Ñānamoli von Vism.XXII,115. Siehe auch Vism. XXI,11.


17 Die Definition ist in Vism.XXII,116. Zu Einzelheiten über die Anwendung der Methoden der stofflichen und unstofflichen Siebenheiten siehe Vism.XX,46ff.


18 Pm.II,63; Vism.XX,91.


19 Siehe Kap.6, Anm.15. Der Vers ist in Pm.I,58.


20 In A.II,92-95. Siehe Einleitung pp.4-8.


21 Pug.61-62.


22 A.V,1-7, 311-37; S.II,29-32.


23 SA.II,40.


24 Z.B. SA.II,40; AA.II,587, 676, 725.


25 Zum Beispiel wird es in S.V,422-23 verwendet, um Buddhas Wissen von den Vier Edlen Wahrheiten auf Grund seiner Erleuchtung auszudrücken.


26 Vism.XXII,121.


27 Pm.I,66-67; PmA.75.


28 Siehe z.B. MA.II,249; Vism.VIII,235-36.


29 Siehe z.B. A.IV,146-47.



Ñāṇārāma Mahāthera. Die Sieben Betrachtungen der Einsicht. © Theravadanetz.