Ñāṇārāma Mahāthera.Die Sieben Betrachtungen - Kapitel 4
- Die Betrachtung der Abwendung




1. Wie die Abwendung in der Einsichtsmeditation auftaucht
2. Die Entfaltung der Abwendung
3. Abwendung und Vergnügen
4. Die Vorteile der Betrachtung der Abwendung
5. Anmerkungen zur Betrachtung der Abwendung

Die Betrachtung der Abwendung



(Nibbidānupassanā)


Einer, der die Betrachtung der Abwendung entfaltet, gibt das Vergnügen auf.

(Nibbidānupassanam bhāvento nandim pajahati.)

1. Wie die Abwendung in der Einsichtsmeditation auftaucht
Der Begriff nibbidā bedeutet Abwendung oder Ernüchterung. In der Einsichtsmeditation taucht diese Abwendung in Verbindung mit den Gestaltungen auf, den Phänomenen der fünf Anhäufungen. Wenn die wahre Natur der Gestaltungen durch das Einsichtswissen realisiert wurde, legt sich das Vergnügen (nandi), welches der weltliche Geist an den Gestaltungen hat, und dann taucht die Abwendung auf.1

Um diesen Punkt zu erklären, gab der Buddha einst dem Wanderasketen Māgandiya das folgende Gleichnis:2

Eine von Geburt an blinde Person hört die Leute sagen: "Ein weißes Kleidungsstück ist sehr attraktiv, rein und angenehm." Folglich wünschte er ein weißes Kleidungsstück zu erlangen. Ein gewisser Mann erfuhr davon und brachte ihm ein dunkles, grobes Kleidungsstück, befleckt mit Öl und Ruß. Als er es ihm aushändigte, pries er es und sagte: "Freund, dies ist ein weißes Kleidungsstück - angenehm, gut, schön und rein. Trage es und es wird dir viel mehr Würde verleihen." Dies akzeptierte der blinde Mann ganz glücklich, zog es an und ging stolz umher, das sogenannte schöne weiße Kleidungsstück preisend. Später brachten ihn seine Verwandten und Freunde zu einem Augenarzt, der sein Sehfähigkeit wiederherstellte. Als er sein geliebtes weißes Kleidungsstück mit eigenen Augen gesehen hatte, verstand er, dass er betrogen worden war. Sofort gab er seine Vorliebe für das Kleidungsstück auf und war von ihm angewidert.

In dieser Weise erkennt der Meditierende, der das Auge des Einsichtswissens entwickelt, die wahre Natur der fünf Anhäufungen und realisiert, dass er sich die ganze Zeit getäuscht hatte und sie für beständig, angenehm und ein Selbst gehalten hatte. Mit der Vertiefung der Einsicht versiegt seine Freude an allen Gestaltungen und er festigt sich ausschließlich in der Abwendung.

Wie die Abwendung in der Einsichtsmeditation auftaucht, ist vielfach auf verschiedene Weise in den Schriften erklärt worden. Wir wollen nun ein paar Basis-Textstellen über den Übergang von der Einsicht zur Abwendung in Buddhas eigenen Worten betrachten:

(I) "Mönche, materielle Form ist unbeständig, Gefühl ist unbeständig, Wahrnehmung ist unbeständig, geistige Gestaltungen sind unbeständig, Bewusstsein ist unbeständig. Der unterwiesene edle Schüler, ausgestattet mit dieser Einsicht, entfaltet Abwendung gegenüber den fünf Anhäufungen - gegenüber materieller Form, Gefühl, Wahrnehmung, geistigen Gestaltungen und Bewusstsein ... "3

(II) "Mönche, materielle Form ist unbeständig; alles Unbeständige ist leidvoll; alles Leidvolle ist Nicht-Selbst; alles Nicht-Selbst ist nicht mein, nicht ich, gehört mir nicht. In dieser Weise sollte man jede materielle Form in ihrer wahren Natur mit Einsichtswissen verstehen. In der selben Weise sollte man Gefühl, Wahrnehmung, geistige Gestaltungen und Bewusstsein verstehen. Folglich übt der unterwiesene, mit Einsicht ausgestattete edle Schüler Abwendung gegenüber jeder dieser fünf Anhäufungen."4

(III) "Mönche, materielle Form der Vergangenheit und der Zukunft ist unbeständig. Was ist zur gegenwärtigen Form zu sagen? (Sie ist sicherlich unbeständig.) Mönche, der unterwiesene, mit dieser Einsicht ausgestattete edle Schüler gibt das Interesse an vergangener materieller Form auf; er wünscht sich keine materielle Form für die Zukunft; er praktiziert den Weg der Abwendung, der Nicht-Anhaftung und des Aufhörens bezüglich der gegenwärtigen materiellen Form. Und ebenso bezüglich der Anhäufungen Gefühl, Wahrnehmung, geistige Gestaltungen und Bewusstsein, die zu den drei Zeitformen gehören."5

(IV) "Mönche, materielle Form ist unbeständig. Alles, was Ursache oder Bedingung zum Entstehen materieller Form ist, ist auch unbeständig. Mönche, wie kann aus Unbeständigem hervorgegangene materielle Form beständig sein? Mönche, die anderen vier Anhäufungen sind gleichfalls unbeständig. Mönche, der unterwiesene, mit dieser Einsicht ausgestattete edle Schüler entfaltet Abwendung gegenüber allen fünf Anhäufungen."6

(V) "Mönche, der unterwiesene edle Schüler betrachtet weise das Prinzip des abhängigen Entstehens so: 'Wenn diese (Ursache) existiert, kommt jenes (Ergebnis) zum Vorschein; mit der Entstehung von dieser (Ursache) entsteht jenes (Ergebnis). Wenn diese (Ursache) nicht existiert, kommt jenes (Ergebnis) nicht zum Vorschein; mit dem Aufhören von dieser (Ursache) hört jenes (Ergebnis) auf; nämlich durch Unwissenheit sind Gestaltungen bedingt; durch Gestaltungen ist Bewusstsein bedingt ... durch Geburt sind Altern und Tod, Sorge, Wehklagen, Schmerz, Kummer und Verzweiflung bedingt. So ist die Entstehung dieser ganzen Leidensmasse. Durch die vollständige Beendigung der Unwissenheit hören die Gestaltungen auf ... und durch die Einstellung von Geburt kommt es zum Aufhören von Altern und Tod, von Sorge, Wehklagen, Schmerz, Kummer und Verzweiflung. So kommt das Aufhören dieser ganzen Leidensmasse zustande.' Mönche, der unterwiesene, mit dieser Einsicht ausgestattete edle Schüler entfaltet die Abwendung gegenüber materieller Form ... gegenüber Bewusstsein ... "7

(VI) "Mönche, hier denkt der unterwiesene edle Schüler weise und gründlich so über das bedingte Entstehen nach: 'In dieser Weise, wenn dieses existiert, kommt es zu jenem ... mit dem Aufhören von diesem hört jenes auf.' Angenehmes Gefühl wird durch seine Bedingung hervorgerufen, einen geeigneten Kontakt; durch Aufhören des selben Kontaktes wird das Aufhören, die Stillung seines Produktes, des angenehmen Gefühls, hervorgerufen. Schmerzhaftes Gefühl wird durch seine Bedingung hervorgerufen, einen dem entsprechenden Kontakt; durch das Aufhören des selben Kontaktes wird das Aufhören, die Stillung seines Produktes, des schmerzlichen Gefühls hervorgerufen. Neutrales Gefühl (weder angenehm noch schmerzhaft) wird hervorgerufen durch seine Bedingung, einen dem entsprechenden Kontakt; durch das Aufhören des selben Kontaktes kommt es ebenfalls zum Aufhören, zur Stillung seines Produktes, des neutralen Gefühls."

"Mönche, gerade so wie Hitze produziert wird durch die Reibung und Abnutzung zweier Stäbe, und diese Hitze aufhört und beendet wird durch die Trennung und das Auseinanderbringen der Stäbe, ebenso wird das freudige Gefühl usw. produziert durch seine Bedingung, einen geeigneten Kontakt und hört auf durch das Aufhören dieses Kontaktes .... Mönche, der unterwiesene edle Schüler, dieses erkennend, entwickelt Abwendung gegenüber Kontakt, Gefühl, Wahrnehmung, geistigen Gestaltungen und Bewusstsein ... "8

(VII) "Mönche, durch Auge und sichtbare Formen entsteht Augen-Bewusstsein. Das Zusammenkommen dieser drei (d.h. Auge, Formen und Augen-Bewusstsein) ist Kontakt. Durch Kontakt entsteht Gefühl. Mönche, der unterwiesene, mit dieser Einsicht ausgestattete edle Schüler entfaltet Abwendung gegenüber dem Auge, gegenüber den Formen, gegenüber dem Augen-Bewusstsein, gegenüber dem Augen-Kontakt und gegenüber dem damit verbundenen Gefühl. Ebenso entfaltet er Abwendung gegenüber dem Ohr, den Tönen und dem Ohren-Bewusstsein; gegenüber der Nase, dem Geruch und dem Nasen-Bewusstsein; gegenüber der Zunge, dem Geschmack und dem Zungen-Bewusstsein; gegenüber dem Körper, der Berührung und dem Körper-Bewusstsein; gegenüber dem Geist, den geistigen Objekten und dem Geist-Bewusstsein und gegenüber den jeweiligen Kontakten und den damit verbundenen Gefühlen."9

(VIII) "Rāhula, der unterwiesene edle Schüler (der mit Einsicht die Sinnesfähigkeiten und ihre betreffenden Gestaltungen als unbeständig, leidhaft und nichtselbst erkannt hat) entfaltet Abwendung gegenüber dem Auge, der sichtbaren Form, dem Augen-Bewusstsein, dem Augen-Kontakt und ebenso gegenüber Gefühl, Wahrnehmung, geistigen Gestaltungen oder dem Bewusstsein bedingt durch den Augenkontakt. Und ebenso bei den anderen Sinnen."10

(IX) "Mönche, alles ist brennend. Und was alles ist brennend? Mönche, das Auge ist brennend, sichtbare Formen sind brennend, Augen-Bewusstsein ist brennend, Augen-Kontakt ist brennend: alles Gefühlte, freudig, leidig oder neutral, erzeugt durch Augen-Kontakt, alles das ist auch brennend. Brennend womit? All das, erkläre ich, ist brennend mit dem Feuer der Begierde, dem Feuer des Hasses und dem Feuer des Wahns - brennend mit Geburt, Altern, Tod, Sorge, Jammer, Schmerz, Kummer und Verzweiflung. Das Ohr ist brennend ... Die Nase ... Die Zunge ... Der Körper ... Der Geist ist brennend ... brennend mit dem Feuer der Begierde, dem Feuer des Hasses und dem Feuer der Verblendung ... "

"Mönche, dieses erkennend empfindet der unterwiesene edle Schüler Abwendung gegenüber dem Auge, gegenüber den Formen, gegenüber dem Augen-Bewusstsein, gegenüber dem Augen-Kontakt und auch gegenüber den freudigen, leidigen oder neutralen durch Augen-Kontakt erzeugten Gefühlen ... gegenüber dem Geist ... oder neutralen durch Geist-Kontakt erzeugten Gefühlen."11

(X) "Rādha, wenn materielle Form gegenwärtig ist, wird der Tod gegenwärtig sein, der Töter und der Sterbende werden gegenwärtig sein. Darum, Rādha, solltest du materielle Form als den Tod betrachten, als den Töter oder den Sterbenden: betrachte sie als eine Krankheit, als ein Geschwür, als einen Stachel, als ein Unglück, als eine Quelle des Unglücks. Wer so auf diese Weise materielle Form betrachtet, betrachtet sie richtig ... Und ebenso das Gefühl, die Wahrnehmung, geistige Gestaltungen und Bewusstsein."

"Ehrwürdiger Herr, welchen Zweck hat dieses richtige Betrachten?"
"Rādha, es richtig zu betrachten hat den Zweck der Abwendung."12

(XI) "Rāhula, ist das Erdelement beständig oder unbeständig?"
"Ehrwürdiger Herr, es ist unbeständig."
"Wenn etwas unbeständig ist, ist es leidvoll oder angenehm?"
"Ehrwürdiger Herr, es ist leidvoll."
"Wenn etwas unbeständig, leidvoll und veränderlich ist, ist es dann geeignet, es als 'dies ist mein', 'dies bin ich' oder 'dies ist mein Selbst' anzusehen?"
"Ehrwürdiger Herr, es ist nicht geeignet."

(In der selben Weise die drei Merkmale in den anderen Elementen - Wasser, Feuer, Luft, Raum und Bewusstsein - aufzeigend, fährt der Buddha so fort:)

"Rāhula, dieses durch Einsicht erkennend, fühlt der weise edle Schüler Abwendung gegenüber den Elementen Erde, Wasser, Hitze, Luft, Raum und Bewusstsein.""13

(XII) "O Mönch, wenn man in beständiger Betrachtung des Auf- und Untergangs der Augen-Fähigkeit verweilt, fühlt man Abwendung gegenüber der Augen-Fähigkeit. Gleichermaßen fühlt man, wenn man in beständiger Betrachtung der Sinnesfähigkeiten von Ohr, Nase, Zunge, Körper oder Geist verweilt, Abwendung gegenüber jeder von ihnen."14



2. Die Entfaltung der Abwendung
Obwohl der Buddha viele unterschiedliche Methoden gelehrt hat, ausgerichtet auf die Mentalität jedes seiner Schüler, ist es uns beim Vergleich dieser verschiedenen Dhamma-Ausführungen möglich, ein gemeinsames Aktionsprogramm zur Entfaltung der Abwendung zu bestimmen. Die Grundlagen eines solchen Systems der Einsichtsentfaltung können kurz so erklärt werden:

  1. Man versteht zuerst die geistigen und materiellen Phänomene in ihren unterschiedlichen Kategorien als Anhäufungen, Fundamente, Elemente oder Fähigkeiten, entsprechend der Fähigkeit jedes Meditierenden. Dies ist das Verständnis der individuellen Merkmale (paccattalakkhana-pativedha).
  2. Man realisiert dann, dass alle in der vorher erwähnten Weise verstandenen Gestaltungen verbunden sind durch das Gesetz von Ursache und Wirkung (paccaya-pariggaha).
  3. Man realisiert als nächstes, dass alle diese ursächlichen und sich ergebenden Phänomene den drei allgemeinen Merkmalen Unbeständigkeit, Leidhaftigkeit und Nicht-Selbst unterworfen und deshalb Gefahrenquellen sind.
  4. Das klare Verständnis der Gefahren in den Gestaltungen - ihr Umgebensein von den drei Merkmalen - funktioniert als die unmittelbare Ursache für die Erzeugung der Abwendung.15

In vielen Lehrreden (meist im Anguttara Nikāya) legt der Buddha dar, dass die Grundlage für die Abwendung richtiges Wissen und Sehen (yathābhūta-ñānadassana) sind, welche als Ergebnis der rechten Konzentration entstehen16. Die Redensart yathābhūta-ñānadassana bringt den Gedanken zum Ausdruck, die Realität mit Einsichtswissen zu erkennen. Diese einzelne Redensart umfasst alle drei Stufen, die als Grundlage der Abwendung angegeben werden17. Die Kommentare erklären „richtiges Wissen und Sehen" als „sanfte Einsicht" (taruna-vipassanā) und Abwendung als „kraftvolle Einsicht" (balava-vipassanā).fn_18>

Die wiederholte Anwendung von Aufmerksamkeit und Einsichtsweisheit zur Entfaltung der durch Weisheit erzeugten Abwendung ist die Betrachtung der Abwendung (nibbidānupassanā). Nur bei ununterbrochener und anhaltender Anwendung von weiser Aufmerksamkeit kann die Betrachtung der Abwendung erfolgreich sein. Wenn der Geist abgelenkt ist, schwankt die Konzentration. Unterbrechungen lassen Aufmerksamkeit und Konzentration erschlaffen, und folglich kann der geistige Prozess nicht die zur Betrachtung der drei Merkmale benötigte starke Zentrierung der Aufmerksamkeit erreichen. Die Entfaltung der Betrachtung besteht einfach darin, den Geist in eine Richtung zu lenken, die zum Hervorbringen und Entfalten von Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit förderlich ist.

Mit der allmählichen Reifung der Betrachtungen der Unbeständigkeit, der Leidhaftigkeit und des Nicht-Selbst wird die gefährliche Natur der bedingten Phänomene offenbar. Dies erzeugt Abwendung gegenüber den Gestaltungen. Diese Betrachtung der Abwendung entfaltet sich allmählich. Wenn das Wissen von der Auflösung der Gestaltungen (bhanga-ñāna) einsetzt, wird die Betrachtung der Abwendung auch stark genug, das Vergnügen zu verdrängen19. Von diesem Punkt an gewinnt die Betrachtung allmählich Schwungkraft, und erreicht ihren Höhepunkt mit dem Heraufdämmern des Einsichtswissens der Abwendung (nibbidā-ñāna). Danach, wenn das Wissen von der Gelassenheit gegenüber den Gestaltungen (sankhār´upekkhā-ñāna) erreicht ist, geht die Betrachtung der Abwendung zurück20. Das Vergnügen sowie jede Form der Abwendung werden sich auflösen, und die Einsichtsmeditation wird in einer ruhigen und gelassenen Weise fortgesetzt.

Die Betrachtung der Abwendung nimmt in der Einsichtsmeditation eine hervorragende Stellung ein. Je mächtiger die Abwendung ist, desto leichter fällt das Aufgeben der Gestaltungen. Durch das vollständige Aufgeben der Gestaltungen realisiert man Nibbāna. Für diese glücklichen, auf ihrer Reise zur Arahantschaft ausreichend vorangekommenen Leute, deren geistige Fähigkeiten durch verlängerte Praxis von Ruhe- und Einsichtsmeditation in ihren vorigen Existenzen einen hohen Reifegrad erreicht haben, kann die Abwendung sofort und intensiv einsetzen durch eine tiefe Vergegenwärtigung der drei Merkmale. Sie werden fähig sein, die Vollendung der Einsichtsmeditation schnell zu erreichen, ohne viel Zeit für die Betrachtung der Abwendung zu benötigen.21

Eine erhabene Persönlichkeit mit gut entwickeltem Geist kann intensive Abwendung hervorbringen in Bezug auf ein Sinnesobjekt, das normalerweise Leidenschaft weckt. Ein Beispiel davon ist der Fall des Älteren Nāgasamāla. Einst, als er in die Stadt um Almosen ging, sah dieser ältere eine Tänzerin in Musikbegleitung bei einer öffentlichen Vorführung. Mit Sandelholz-Creme auf ihrem Körper war sie attraktiv zurechtgemacht und geschmückt mit Ornamenten und Blumenkränzen. Aber dem Älteren erschien sie nicht anders als eine gut erdachte Todesfalle, aufgestellt von Māra, dem Bösen. Als er weise Aufmerksamkeit entfaltet hatte, wurden ihm die Gefahren der Gestaltungen doppelt klar und intensive Abwendung setzte ein. Da erlangte der Ältere auf der Stelle Arahantschaft mit den drei höheren Wissen.22

Der nicht mit einem so hohen Grad an angeborener geistiger Kraft ausgestattete Meditierende muss wiederholt weise Aufmerksamkeit auf solche Weise anwenden, dass die Abwendung ausgebildet und zum erforderlichen Intensitätsgrad gebracht wird.

Die Betrachtung der Abwendung ist das Ergebnis der drei vorangegangenen Betrachtungen, aber ihrer eigentlichen Natur nach sollte sie als eine spezielle Form der Betrachtung des Leidens angesehen werden. Dies wird auch durch den Fakt ausgedrückt, dass das Vergnügen, welches sie vertreibt, eng verwandt mit der Auffassung von Freude ist, welche durch die Betrachtung des Leidens vertrieben wird.



3. Abwendung und Vergnügen
An diesen Punkt unserer Ermittlung ist es sachdienlich, die Rolle des Vergnügens (nandi) zu erörtern. Vergnügen ist von Genuss begleitete Begierde23. Es ist die Gewohnheit unter der Täuschung, dass es ein „Ich" oder „Mein" gibt, die Gestaltungen fröhlich und habgierig zu genießen, sie wegen Unwissenheit über ihre wahre Natur für angenehm, willkommen, gefällig und vergnüglich haltend. Wir wollen nun unsere Aufmerksamkeit auf eine Lehrrede des Buddha richten, welche zeigt, wie Vergnügen entsteht und zu bitteren Konsequenzen führt:

"Durch Ansehen einer angenehmen Form wird er ihr zugeneigt; wenn die Form unangenehm ist, verabscheut er sie; unwissend über die wahre Natur des Körpers lebt er mit unheilsamen Gedanken. Er weiß nichts von der Herzensbefreiung und Weisheitsbefreiung (den Früchten der Arahantschaft), wo so schlimme und unheilsame Gedanken völlig aufhören. Während er mit dieser Zwiespältigkeit von Zustimmung und Widerspruch konfrontiert wird, heißt er jedes erfahrene Gefühl willkommen, ob angenehm, schmerzlich oder neutral. Bedingt durch seine Gier denkt er nun: 'Das bin ich, es ist mein'; und er vertieft sich mit so intensiver Gier in dieses Gefühl, dass ein Entrinnen daraus meist unmöglich wird.

Bei einem, der Freude an diesem Gefühl findet, der sich darin vertieft, es „ich" und „mein" zu nennen, entsteht Vergnügen (nandi). Wenn Vergnügen in Verbindung zu irgend einem Gefühl entsteht, ist das Ergebnis Anhaftung (upādāna). Diese ist die Bedingung für das Werden (bhava). Werden bedingt Geburt; Geburt ist die Bedingung für Altern und Sterben, Sorge, Jammer, Schmerz, Kummer und Verzweiflung. Auf diese Weise entsteht diese ganze Leidensmasse. Durch Hören eines Geräusches ... Durch Riechen eines Duftes ... Durch Erfahren eines Geschmackes ... Durch Erfahren einer Berührung ... Durch Denken eines geistigen Objektes ... Auf diese Weise entsteht ... Leiden."24

Überlegt einmal kurz, wie viele eurer täglichen Aktivitäten mit diesem Vergnügen durchtränkt sind, welches entsteht, wenn ihr es unterlasst, weise Aufmerksamkeit und Bewusstheit auf die Bewusstseinsaktionen zu richten, welche bei den sechs Sinnesfähigkeiten auftreten. Immer, wenn ihr die Beherrschung über eure Sinnesfähigkeiten verliert, wird dieses Vergnügen erzeugt, euch zukünftige Existenzen einbringend, wo ihr eine gewaltige Menge Leiden erleben werdet in Form von Geburt, Altern und Tod, Sorge, Kummer, Krankheit und Stress. Diesen Fakt zu betrachten kann bei euch einen scharfen Sinn für die Dringlichkeit hervorbringen, so dass ihr euch der Betrachtung der Abwendung mit verstärktem Eifer widmet.

Der Meditierende, der sich mit konzentriertem Geist in der Einsichtsmeditation engagiert, versteht den Prozess der Sinneswahrnehmung in seiner wahren Natur. Vollkommen vergegenwärtigt er sich, dass das, was ständig stattfindet, nur das fortlaufende Arbeiten einer Gruppe geistiger und materieller Phänomene auf der Basis einer Ursache-Wirkungs-Beziehung ist. Er vergegenwärtigt sich auch, dass jede dieser Gestaltungen dem momentanen Entstehen und Vergehen unterworfen ist, dass sie belastend sind und auch, dass sie völlig ohne einen inneren Kern oder ein Selbst sind. Er versteht die auf mannigfaltige Weise in den Gestaltungen enthaltene Gefahr. Auf dieser Stufe beginnt sich der Geschmack an den Gestaltungen, der sich in seinem Geist verwurzelt hatte, zusammen mit der Gewohnheit des fröhlichen Willkommenheißens zu verflüchtigen. An ihrer Stelle setzt Abwendung gegenüber den Gestaltungen ein und gewinnt an Kraft. Nichts erzeugt mehr ein selbstsüchtiges Haften an „Ich" oder „Mein". Man haftet nicht an weltlichen Genüssen. Das Vergnügen ist verdrängt worden von der ausgereiften Abwendung, genau so, wie der blinde Mann beim Gewinn seines Augenlichts das Interesse an dem ekelhaften Kleidungsstück verlor, welches er vorher mit soviel Liebe und Sorgfalt behandelt hatte.

Mit der allmählichen Entfaltung der Betrachtung der Abwendung wird der Meditierende beginnen, auch die Bereiche der Götter und Brahmas zu verabscheuen. Gefühle der Freude bezüglich der sinnlichen, der feinstofflichen und unstofflichen Sphären werden versiegen. Der Meditierende wird anfangen, Feststellungen wie die folgende zu machen: „Zuerst wollte ich mich nur aus den Leidensbereichen befreien, aber nun erscheint diese ganze dreifache Welt als eine einzige große Feuersbrunst, ein Haufen Leiden. Ich habe nicht den Wunsch nach irgendeiner Werdensform." Sein Geist hat keinen Raum mehr für weltliche Gedanken des Genusses. Ein starker Drang, sich von allen Befleckungen zu befreien, baut sich auf.25

Wenn die Betrachtung der Abwendung sich in dieser Weise auf alle innerlichen und äußerlichen Phänomene ausgedehnt hat, tendieren bestimmte Meditierende dazu, verwirrt zu werden. Ein Meditierender verliert hier das Interesse an allem, einschließlich solcher wesentlichen Aktivitäten wie die Nahrungsaufnahme oder das Verrichten der täglichen Hausarbeit. Er fühlt sich dazu getrieben, seine Kleidung zu wechseln und anhaltend zu sitzen. Er könnte anfangen, Abneigung gegen seine Zelle oder seine Wohnung zu empfinden, gegen sein Meditationskissen oder sogar gegen seinen Meditationsmeister. Er könnte sich genötigt fühlen, alles aufzugeben und ziellos zu wandern. Doch trotz alledem fühlt er sich niemals veranlasst, die Meditation aufzugeben.

Wenn solch eine Situation entsteht, sollte man das dem Meditationsmeister oder einem erfahrenen Meditierenden anvertrauen, ohne etwas zu verhehlen. Man sollte erkennen, dass, während diese auf die Gestaltungen bezogene Ernüchterung entsteht, die richtige Aktionsrichtung die ununterbrochene Fortsetzung der Meditation ist. Wenn so das Engagement an der ungehinderten Betrachtung der Abwendung beibehalten wird, wird eine Stufe erreicht werden, wo diese Abwendung aufhört und der Geist außerordentlich friedvoll wird.

* * *


4. Vorteile der Betrachtung der Abwendung
"O Mönche, ich erkläre, dass jemand die Begierde, den Hass und die Verblendung aufgibt, wenn er engagiert in der Betrachtung der Abwendung gegenüber Dingen, diesen Fesseln, lebt. Durch Aufgeben der Begierde, des Hasses und der Verblendung erreicht man Freiheit vom Leiden wiederholter Geburt, wiederholten Verfalls und Todes, der Sorge, des Jammers, des Schmerzes, des Kummers und der Verzweiflung."26



5. ANMERKUNGEN ZUR BETRACHTUNG DER ABWENDUNG
1 Die Abwendung, die aus Einsicht entsteht, muss von der unheilsamen Abwendung unterschieden werden, welche ein Aspekt der Abneigung (patigha) oder des Hasses (dosa) ist.


2 M.I,509ff. [M. 75. (VIII,5) Māgandiya Sutta]


3 S.III,21. Es folgen gleichlautende Passagen über Leiden und Nicht-Selbst.


4 S.III,22-23.


5 S.III,19-20. Das selbe wird vom Leiden und Nicht-Selbst gesagt.


6 S.III,23. Auf die selbe Weise entfaltet er Abwendung gegenüber den Anhäufungen nach dem Erkennen ihrer Wesensart der Leidhaftigkeit und des Nicht-Selbst.


7 S.II,95.


8 S.II,96-97.


S.IV,32-33.


10 M.III,278ff.; S.IV,106-7.


11 S.IV,19-20.


12 S.III,189.


13 S.II,248-49.


14 S.IV,140.


15 Der folgende Text verdeutlicht die Gefahren (ādīnava) in den Gestaltungen: "Weil jede materielle Form unbeständig und leidvoll ist, der Veränderung unterworfen, ist dies die Gefahr in materieller Form ..." (S.III,28). "Mönche, weil es in materieller Form Gefahr gibt, entfalten die Leute Abwendung gegenüber materieller Form" (S.III,30).

Die selbe Formel wird genau so für die anderen Anhäufungen angewandt. Die sich darauf beziehenden Texte der Anmerkungen 4, 10 und 13 oben zeigen, wie die Gestaltungen ohne ein auf ihr Dasein bezogenes Selbst der Unbeständigkeit, dem Leiden und der Veränderung unterworfen sind. Die drei Merkmale - der Unbeständigkeit, des Leidens und des Nicht-Selbst - bilden die in den Gestaltungen enthaltene Gefahr, durch deren Hervorheben man Abwendung erzeugen kann.


16 A.V,311ff.; S.II,30; A.V,315ff.


17 Im SA.II,40 wird gesagt, das richtiges Wissen und Sehen (yathābhūta-ñānadassana) sich vom Wissen der Bestimmung des Geistig-Materiellen (nāmarūpapariccheda-ñāna) bis zum Wissen und Sehen, was Pfad und was Nicht-Pfad ist (maggāmagga-ñānadassana) erstreckt. Dies umfasst drei Stadien: die Durchdringung der besonderen Merkmale (paccatta-lakkhana-pativedha), die Einsicht in die Bedingungen (paccaya-pariggaha) und die Durchdringung der universellen Merkmale (sāmañña-lakkhana-pativedha). Siehe außerdem Anhang 5, Nr.15.


18 A.II,587, 676, 725; SA.II,40, usw. SA. verwendet Abwendung im Sinn von kraftvoller Einsicht (balava-vipassanā), welches die vier Einsichtswissen sind: das Sichtbarwerden des Schreckens (bhayat´upaññhāna), die Betrachtung der Gefahr (ādīnavānupassanā), der Wunsch nach Befreiung (muñcitukamyatā) und Gleichmut gegenüber den Gestaltungen (sankhār´upekkhā). In Pm.II,63 wird gesagt, dass die Wissen vom Sichtbarwerden des Schreckens und der Gefahr genauso wie die Abwendung dem Sinn nach ein und das selbe sind; sie unterscheiden sich nur dem Namen nach. Vism.XXI,1,29-43 beschreibt diese als drei aufeinanderfolgende Einsichtswissen. MA.II,94 setzt Abwendung (nibbidā) mit der Einsicht gleich, die zum transzendentalen Pfad (vutthānagāminī vipassanā) führt. Bestimmte kommentarielle Texte weisen darauf hin, dass nibbidā ein allgemeiner auf Einsicht verweisender Begriff ist (DA.II,477; PmA.152, 316, usw.).


19 Pm.I,57-58.


20 Pm.I,195 stellt fest: "Ein die Unbeständigkeit Betrachtender kennt und sieht das Einatmen so, wie es ist, also ist Abwendungswissen vorhanden ... Von der Einatmung herrührende Weisheit vom Sichtbarwerden des Schreckens in einem die Unbeständigkeit Betrachtenden ist mit der Abwendung übereinstimmendes Wissen ... Von der Einatmung herrührende Weisheit der Überlegung und Gelassenheit in einem die Unbeständigkeit Betrachtenden ist Wissen, welches die Abwendung beruhigt" (übersetzt nach Ven. Ñānamoli). PmA.363-64 demonstriert, wie diese mit Abwendung verbundene Wissens-Serie sich vom Verständnis in Gruppen (kalāpasammasana-ñāna) bis zur Vollendung der Einsicht erstreckt.


21 "Durch Abwendung wird man leidenschaftslos, wodurch man Befreiung erlangt. Wenn man befreit ist, macht man sich klar, dass man befreit ist" (M.I,500). MA.II,95, diese Passage kommentierend, setzt das Einsetzen der Leidenschaftslosigkeit mit dem überweltlichen Pfad gleich.


22 Thag.267-69.


23 Nandin´ti sappītikam tanham (Vism.XXI,19).


24 M.I,266-67. Ähnliche Lehrreden sind zu finden in M.III,267ff.; S.III,14, usw. Siehe auch MA.II,259.


25 Zum Ausdruck "Wahrnehmung von Abneigung gegen die ganze Welt" (sabbaloke anabhirata-saññā) siehe A.I,41, 42; II,150; III,79; IV,46, 50; V,111; M.I,336. AA.II,540 erklärt "Welt" (loka) hier als die dreifache Welt (tedhātuka) - die sinnlichen, feinstofflichen und unstofflichen Bereiche des buddhistischen Kosmos; "Abneigung" (anabhirati) als das Fehlen des Wunsches, in diesen drei Bereichen zu leben. AT.II,342 bekräftigt, dass diese Wahrnehmung die Betrachtung der Abwendung ist. Siehe auch Kap. 5, Anm. 15.


26 A. I,51.



Ñāṇārāma Mahāthera. Die Sieben Betrachtungen der Einsicht. © Theravadanetz.