Ñāṇārāma Mahāthera.Die Sieben Betrachtungen - Kapitel 1
- Die Betrachtung der Unbeständigkeit




1. Das Merkmal der Unbeständigkeit
2. Die Enthüllung des Merkmals der Unbeständigkeit
3. Die Entfaltung und das Aufgeben
4. Sechs Vorteile der Betrachtung der Unbeständigkeit
5. Anmerkungen zur Einleitung

Die Betrachtung der Unbeständigkeit



(Aniccānupassanā)


Einer, der die Betrachtung der Unbeständigkeit entfaltet, gibt die Auffassung von Beständigkeit auf.

(Aniccānupassanam bhāvento niccasaññam pajahati.)


1. Das Merkmal der Unbeständigkeit
Wir wollen mit der Untersuchung der Bedeutung des Begriffes "Unbeständigkeit" (aniccatā) beginnen. Der Begriff "Unbeständigkeit" oder das Merkmal der Unbeständigkeit bezeichnet die Natur von nichtvorhandener Beständigkeit, von nichtvorhandener Dauerhaftigkeit, von Entstehen und Vergehen, von Verfall, Schwund und sich vollziehender Umwandlung usw. Entstehen ist der Anfang der Unbeständigkeit, Verfall ihre Mitte, Auflösung ist ihr Ende.1 Dieses Merkmal der Unbeständigkeit haben alle Gestaltungen gemeinsam, die in den fünf Anhäufungen enthalten sind, welche unsere erfahrungsmäßige Persönlichkeit ausmachen: materielle Gestalt, Gefühl, Wahrnehmung, geistige Gestaltungen (der Willensfaktor) und Bewusstsein. Diese fünf Anhäufungen werden als "Gestaltungen" (sankhārā) bezeichnet, weil sie aus einer Kombination von Bedingungen entstehen und sich mit der Veränderung dieser Bedingungen auflösen. Hier ist es wichtig, zwischen einem unbeständigen Objekt und dem Merkmal der Unbeständigkeit zu unterscheiden. Gestaltungen - die fünf Anhäufungen selbst - sind unbeständig; sie sind die unbeständigen Objekte. Die ihnen innewohnende Natur einer nicht bleibenden Beständigkeit, einer sich vollziehenden Umwandlung, ist das Merkmal der Unbeständigkeit.

Die Gestaltungen selbst demonstrieren diese Unbeständigkeit. Eine weise Person mit entwickeltem Geist wird fähig sein, die Unbeständigkeit der Gestaltungen zu erkennen, welche unter den alltäglichsten Vorkommnissen des gewöhnlichen Lebens verborgen ist. Eine Blütenknospe erscheint am Ende eines Zweiges und erblüht nach und nach zu einer schönen, duftenden Blüte; nach ihrer Reife welkt sie dahin, fällt zu Boden und verwest. Begegnen wir nicht fortwährend tiefgründigen Offenbarungen der Unbeständigkeit, gerade in den einfachsten Vorkommnissen des täglichen Lebens?

Wenn wir die Sache klug untersuchen, werden wir feststellen, wie die Unbeständigkeit am Werke ist, nicht nur in der äußeren Welt, sondern auch in uns - in unseren fünf Anhäufungen. Wieviele Veränderungen sind an euch geschehen seit der ersten Zeit eurer Entstehung im Uterus als kaum wahrzunehmender, winziger Fötus? Wir verändern uns nicht nur von Jahr zu Jahr und von Tag zu Tag, sondern in jedem Moment. Die Aktion, die ihr vor einem Moment durchgeführt habt, ist nun beendet. Der Gedanke, der eurem Geist gerade kam, existiert nun nicht mehr. Dieses fortwährende Vorübergehen von allem Entstehenden zeigt, dass die Unbeständigkeit ein wahrer Fakt des Lebens ist, der nicht von den fünf Anhäufungen getrennt werden kann, die euer wirkliches Sein ausmachen.2

Der unwissende Weltling, dem es nicht gelingt, diese Wahrheit zu begreifen, betrachtet seine persönlichen fünf Anhäufungen sowie die äußeren Objekte als beständig. Folglich basieren alle seine geistigen, sprachlichen und körperlichen Handlungen auf irrigen Annahmen. Seine Unwissenheit von der wahren Situation und die unheilsamen Taten, die er wegen dieser Unwissenheit begeht, machen ihn zum Opfer des Leidens, der Angst und des Stresses. Gebunden im Teufelskreis der Wiedergeburten (samsāra) kann er wahres Glück und wahren Frieden nicht realisieren.

Besondere Tatkraft wird gebraucht, um unsere Anschauungsweise zu ändern: zuerst müssen wir unseren Geist standfest machen, dann müssen wir für uns selbst sehen, wie unbeständig Gestaltungen sind, wie sie ständig entstehen und vergehen. So eine Wahrnehmung kann nur durch die eigentliche Praxis der Einsichtsmeditation erzeugt werden3.

Betrachtung oder anupassanā bezieht sich auf die kontinuierliche wiederholte Beschäftigung des Beobachtungsvermögens mit dem eigens erwählten Meditationsobjekt, wenn man die Praxis der Einsichtsmeditation ausübt. Dieses Beobachten oder "Sehen" schließt die Anwendung von Achtsamkeit und Weisheit ein. Es wird auch als die Anwendung von Achtsamkeit und voller Bewusstheit (sati-sampajañña) und als weise Aufmerksamkeit (yoniso manasikāra) bezeichnet. Wiederholte Untersuchung des Merkmals der Unbeständigkeit in Bezug auf die fünf Anhäufungen unter Anwendung von Einsichtswissen wird Betrachtung der Unbeständigkeit (aniccānupassanā) genannt. Diese ersetzt die Wahrnehmung von Beständigkeit durch die unmittelbare Wahrnehmung der Unbeständigkeit4.



2. Die Enthüllung des Merkmals der Unbeständigkeit
Es gibt einen ausgezeichneten Aktionsplan, bei dessen Befolgung die Betrachtung der Unbeständigkeit erfolgreich vollendet werden kann. Dieser Plan entfaltet sich Schritt für Schritt von den grundlegendsten Vorbereitungen der Einsichtsmeditation bis zur "volles Verständnis des Erkannten" (ñāta-pariññā) genannten Stufe. Anfangs, nachdem er die Grundlagen reiner Sittlichkeit in sich festigte, unterdrückt der Meditierende die fünf Hemmungen und erreicht Konzentration. Dann nimmt er mit wohlkonzentriertem Geist die psychisch-physischen Gestaltungen mit ihren individuellen oder besonderen Merkmalen (paccatta-lakkhana) direkt wahr. Ferner erkennt er ihre Ursachen und Bedingungen, und durch dieses meditative Wissen kommt es zur Realisierung, dass die ganze Verbindung der fünf Anhäufungen bloß eine natürliche Stetigkeit von Phänomenen ist, verbunden als Ursachen und Wirkungen. Mit der weiteren Verfeinerung der Achtsamkeit und Bewusstheit vergegenwärtigt sich der Meditierende auch, dass in jeder bisher als Einheit betrachteten materiellen Form wirklich viele Bestandteile sich nacheinander offenbaren. Er erkennt auch, dass gerade die geistigen Zustände, welche diese Sinnesobjekte wahrnehmen, der ständigen Auflösung unterworfen sind. Hier versteht er die veränderliche Natur dieser psycho-physischen Wesenheiten (nāma-rūpa-dhamma). Durch dieses Wissen versteht er, wie Entstehen und Vergehen zustandekommen, sich so das Merkmal der Unbeständigkeit vergegenwärtigend.

Wir wollen ein Beispiel zur weiteren Klärung anführen. Ein Meditierender praktiziert Atem-Achtsamkeit. Mit konzentriertem Geist ist seine Aufmerksamkeit auf Ein- und Ausatmung gerichtet, welche entweder seine Oberlippe oder seine Nasenspitze berührt5. Anfänglich würde er eine bestimmte Ein- oder Ausatmung als einheitliches Ganzes sehen. Aber später, bei verbesserter Achtsamkeit und Konzentration, wird seine Aufmerksamkeit so genau, dass er den Anfang, die Mitte und die Endphase eines Atemzuges, ob einwärts oder auswärts, unterscheiden kann6.
An diesem Punkt wird die Zwischenphase jeder Ein- und Ausatmung ganz augenfällig für ihn. Allmählich beginnt er zu verstehen, dass mit jeder dieser Stufen weitere Unterteilungen in aufeinanderfolgende Prozesse auftreten. Gleichzeitig sieht er auch ihr Entstehen und Vergehen, und endlich wird ihm klar, dass nicht nur die beobachteten Phänomene, sondern auch der betrachtende Geist der Entstehung und Auflösung unterworfen ist. Auf diese Weise wird das Merkmal der Unbeständigkeit offenbar.

Das Merkmal der Unbeständigkeit kann nicht einfach beobachtet werden, weil es durch das Merkmal der Stetigkeit verborgen wird. Durch seine begriffliche Wirksamkeit versteht der Geist die Stetigkeit der Ereignisse als eine kompakte Masse, sich die aufeinanderfolgenden psycho-physischen Ereignisse als ein einziges Ganzes vorstellend7. Aus diesem Grund sieht man die psycho-physischen Phänomene als dauernd bestehend und nicht als einen aufeinanderfolgenden Prozess, der der Entstehung und Auflösung unterworfen ist. Nur beim Achtgeben auf die Phänomene mit extrem scharfer Aufmerksamkeit, befähigt durch eine anhaltende Praxis, kann man wirklich die getrennte Entstehung und Auflösung der einzelnen psycho-physischen Phänomene wahrnehmen, die normalerweise durch die Vorstellung von Stetigkeit verborgen ist. Durch die Macht der gerichteten Aufmerksamkeit kann man die Wahrnehmung der Vorgänge als eine kompakte Masse aufheben und damit die getrennten Phänomene in ihren genauen Besonderheiten wahrnehmen. Mit der Reifung der Einsicht in die Bedingungen (paccaya-pariggaha), das ist die Beobachtung der Bedingungen für die psycho-physischen Phänomene, sollten diese psycho-physischen Phänomene, welche zu Geistobjekten werden, in Beziehung auf ihren Anfang, ihre Mitte und ihr Ende aufmerksam betrachtet werden8. Dieses Tun macht Auf- und Untergang von jedem dieser Phänomene offenbar und wird so die Vorstellung von der Stetigkeit der Ereignisse als einer kompakten Masse auflösen. Dies wird zur Vergegenwärtigung des Merkmals der Unbeständigkeit führen9.

Es würde auch hilfreich für das Verständnis der Unbeständigkeit sein, die folgenden vier Faktoren zu berücksichtigen, die helfen, die in allen Gestaltungen innewohnende Unbeständigkeit zu enthüllen:
  1. Alles Existierende ist geprägt von Entstehung und Auflösung.
  2. Nichts bleibt unverändert.
  3. Alle Phänomene sind vorübergehend oder zeitweilig.
  4. Nirgends gibt es Beständigkeit10.

In der Einsichtsmeditation ist es ratsam, dem Merkmal der Unbeständigkeit zu gestatten, auf natürliche Weise aufzutauchen. Damit das geschieht, muss als Vorbedingung erst das Wissen bezüglich der Einsicht in die Bedingungen gereift sein.11 Dies leitet die Läuterung durch Zweifelsüberwindung (kankhā-vitarana-visuddhi) ein, in deren Folge die Vorstellung von "Ich" im Geist des Meditierenden untergeht. Der Meditierende beginnt zu realisieren, dass die persönliche Existenz nur ein Ursache-Wirkungs-Prozess von Phänomenen ist und dass kein bleibender Kern existiert, der als wirklich bestehendes "Ich" inner- oder außerhalb seiner fünf Anhäufungen verstanden werden kann. Folglich wird der Meditierende fähig, die Unbeständigkeit der Gestaltungen mit Gleichmut und ohne Bestürzung zu akzeptieren, wenn das meditative Wissen beginnt, die fünf Anhäufungen als unbeständig zu verstehen. Wenn das Merkmal der Unbeständigkeit erscheinen sollte, während er noch die Ansicht von einem "Ich" beibehält, wird er - durch die Unvollständigkeit seines Wissens bezüglich der Einsicht in die Bedingungen - erschrocken sein über den Verlust seiner Ich-Ansicht und könnte versucht sein, die Meditation ganz aufzugeben.

Der Ehrwürdige Channa war ein eigensinniger Mönch, der nach dem Dahinscheiden des Buddha vom Sangha mit der höchsten Strafe gemaßregelt wurde. Die anderen Mönche waren übereingekommen, ihn vollständig zu ignorieren, falls er sein Verhalten nicht änderte. Er hatte Einsichtsmeditation über Unbeständigkeit und Nicht-Selbst praktiziert, ohne das Wissen bezüglich der Einsicht in die Bedingungen entwickelt zu haben. Infolgedessen war er erschrocken. Er fühlte sich, als ob sein "Selbst" in einen Abgrund fallen würde, und dachte: "Was ist mit meinem 'Selbst' geschehen? Oh, ich werde vernichtet!" Diese Furcht überwältigte ihn12. Ähnlich war es, als der Buddha anfangs die vier Edlen Wahrheiten erklärte. Die langlebigen Gottheiten wurden völlig verängstigt, als sie von ihrem unbeständigen Zustand erfuhren, so wie ein Hirsch beim Hören von Löwengebrüll ängstlich wird13. Deshalb ist es ganz am Anfang des Meditationstrainings nicht ratsam, die Aufmerksamkeit auf das Merkmal der Unbeständigkeit zu richten.

Die Betrachtung der Unbeständigkeit ist die wiederholte Beobachtung der Unbeständigkeit der fünf Anhäufungen, verstanden durch die Meditation selbst. Diese Betrachtung sollte entwickelt werden, bis die Wahrnehmung der Unbeständigkeit im Geist fest verankert ist. Sehr oft in den Anfangsstadien der Betrachtung der Unbeständigkeit kann man besonders das Auflösen in Materiegruppen, verbunden mit dem Hauptmeditationsobjekt, beobachten, (z.B. Ein- und Ausatmung oder Bewegung der Bauchdecke). Anschließend wird die Unbeständigkeit der Geistesfaktoren ebenso klar werden und zur generellen Überzeugung führen, dass der Komplex der fünf Anhäufungen in seiner Gesamtheit unbeständig ist. Basierend auf dieser Überzeugung betrachtet man die Anhäufungen außerhalb der eigenen persönlichen Anhäufungen - das sind die Anhäufungen der anderen Personen und der äußeren Natur - ebenfalls als unbeständig. Als Folgerung dieser deutlich sichtbaren Unbeständigkeit schließt man, dass alle Gestaltungen in der Vergangenheit unbeständig waren und dass alle Gestaltungen in der Zukunft ebenso unbeständig sein werden. Die Bestätigung der Unbeständigkeit der psycho-physischen Phänomene führt in dieser knappen Art durch ihre Unterteilung in solche verschiedenen Gruppen zur Stärkung des Verständniswissens (samma-sana-ñāna 14 .

Wenn Achtsamkeit und Bewusstheit schärfer werden, unterscheidet der Meditierende bei seiner Beobachtung genau im selben Moment klar das fortwährende Entstehen und Auflösen einzelner Objekte. Diese Einsicht führt zu einer noch stärkeren Überzeugung vom Merkmal der Unbeständigkeit. Auch werden die ursächlichen Faktoren hinter der Entstehung und Auflösung jeder Anhäufung offenbar. Dies ist die "heikle" Stufe vom Wissen bezüglich des Auf- und Untergangs der Phänomene15 . Wenn man von den Unreinheiten der Einsichtsmeditation (vipassan´-upakkilesa), die in diesem Stadium entstehen, irregeführt wird und sich an ihrem Genuss erfreut, wird die Betrachtung der Unbeständigkeit schwach werden und möglicherweise zusammenbrechen. Der erfahrene Meditierer wendet die Wahrnehmung der Unbeständigkeit bei allen im Verlauf der Betrachtung entstehenden Hindernissen an und überwindet dadurch erfolgreich diese Hürde. Danach wird er ein lebhaftes klares Bild vom Merkmal der Unbeständigkeit bekommen, und dies wird den Weg bahnen für das reife Wissen bezüglich des Auf- und Untergangs der Phänomene.

Wenn der Meditierende in der Betrachtung der Unbeständigkeit weiter fortschreitet, übersteigt er an einem bestimmten Punkt das Interesse an der Entstehung der Phänomene und nimmt nur noch die Auflösung als Objekt seiner Aufmerksamkeit wahr. Das Wissen von der Betrachtung der Auflösung (bhangānupassanā-ñāna), das daraus hervorgeht, ist ein machtvolles Erzeugnis der Betrachtung der Unbeständigkeit. Diesem Wissen folgend taucht die Betrachtung der Unbeständigkeit in verschiedenen Formen auf und wird immens hilfreich für den Fortschritt in der Reihe der Einsichtswissen. Wenn die Einsichtsmeditation ihre Vollendung erreicht, ist es möglich, dass die Betrachtung der Unbeständigkeit als ein Tor zur Befreiung (vimokkha-mukha) funktioniert, den Meditierenden durch die zeichenlose Befreiung (animitta-vimokkha) auf die Erfahrung des Nibbāna ausrichtend16Mit dem Anpassungswissen (anuloma-ñāṇa) wird eine der drei Betrachtungen der Unbeständigkeit, des Leidens oder des Nicht-Selbst hervorstechend, wonach der Meditierende sofort das Nibbāna erfährt. Diese Erfahrung wird Befreiung (vimokkha) genannt. Welcher Gesichtspunkt des Nibbāna erfahren wird, ist abhängig von der mit dem Anpassungswissen zum Vorschein kommenden Betrachtung. Daher werden im Stadium der Anpassung die drei Betrachtungen als Tore zur Befreiung (vimokkha-mukha) bezeichnet. Wenn die Betrachtung der Unbeständigkeit das Tor ist, geht die zeichenlose Befreiung (animitta-vimokkha) daraus hervor; wenn es die Betrachtung des Leidens ist, geht die wunschlose Befreiung (appanihita-vimokkha) daraus hervor, wenn es die Betrachtung des Nicht-Selbst ist, geht die leere Befreiung (suññata-vimokkha) daraus hervor (Pm.II,48; Vism. XXI,66ff.)16 . So sehen wir, dass die Betrachtung der Unbeständigkeit eine Hauptbetrachtung ist, die ganze Skala des Einsichtspfades umfassend. Aus diesem Grund wird in unserer Erörterung der anderen Betrachtungen in den folgenden Kapiteln die Betrachtung der Unbeständigkeit in verschiedenen Formen häufig wiederkehren.



3. Die Entfaltung und das Aufgeben
Der im Anfangsteil unserer Betrachtung erwähnte Begriff "einer, der entfaltet" (bhāvento), deutet den zur Entfaltung der Betrachtung führenden Aktionsplan an. Da vieles bereits in diesem Zusammenhang dargelegt wurde, stellen wir hier nur vier allgemeine Hauptfaktoren dar, die bei der Realisierung aller Betrachtungen helfen:

  1. Das Ausgewogenhalten der zwei Fähigkeiten Vertrauen und Weisheit einerseits und der zwei Fähigkeiten Tatkraft und Konzentration andererseits, wenn sie im Laufe der Meditation im Geist erzeugt werden.
  2. Eine ausgeglichene Reife aller Fähigkeiten - Vertrauen, Weisheit, Tatkraft, Konzentration und Achtsamkeit und ihr Ausgerichtetsein auf einen einzigen Zweck.
  3. Die Erhaltung der Tatkraft auf einem für den Zweck der Meditation erforderlichen Niveau - nicht zu straff und nicht zu lasch.
  4. Wachstum durch konstante Praxis

Viele positive Resultate mögen durch die Anwendung der Aufmerksamkeit beim Meditieren erzielt werden, Resultate, die ebenso erhaben wie klar sind. Wenn man diese erhabenen und klaren Resultate erreichen will, muss man sich mit einem durchweg starken und mit Entschlossenheit ausgestatteten Geist befleißigen.

Der Begriff "gibt auf" (pajahati) beinhaltet die durch die Entfaltung der Betrachtung erzielten Vorteile. Diese sind das Verschwinden der entsprechenden Befleckungen durch das "Ersetzen durch das Gegenteil"18. Die Befleckungen werden in der Einsichtsmeditation beseitigt, wie Dunkelheit durch die aufgehende Sonne verschwindet; das eine lässt das andere durch seine entgegengesetzte Natur vergehen, ohne es dauerhaft auszurotten. Deshalb können die Befleckungen wieder auftauchen, wenn die Kraft der Betrachtung abnimmt, gerade so, wie die Dunkelheit zurückkommt, wenn die Sonne sinkt. Aber wenn man durch die Entfaltung des Einsichtswissens zur Vollkommenheit die Weisheit des überweltlichen Pfades erzeugen kann, sind diese Befleckungen, die mit der Realisierung von jedem Pfadwissen verschwinden, vollständig abgeschnitten, und werden nie wieder entstehen.

Die spezielle Befleckung, die durch die Betrachtung der Unbeständigkeit beseitigt wird, ist die Wahrnehmung von Beständigkeit, welche die falsche Vorstellung ist: "Gestaltungen sind beständig und dauerhaft". Diese verzerrte Wahrnehmung (saññā-vipallāsa), welche aus der Unwissenheit über die wirkliche Natur der Gestaltungen hervorgeht, nimmt durch wiederholtes Auftreten an Kraft zu und führt zu einer Verzerrung des Bewusstseins (citta-vipallāsa). Darauf folgend wird durch weiteres Reifen eine Verzerrung der Ansicht (ditthi-vipallāsa) hervorgerufen19. Schließlich wird diese falsche Vorstellung, dass "Gestaltungen beständig sind", so stark im Geist gefestigt, dass ihre Beseitigung eine herkulische Aufgabe ist.

Wie oft muss diese Idee von Beständigkeit während des anfangslosen Kreislaufes der Wiedergeburten in unserem Geist entstanden sein! Und als Ergebnis: wie tief wurde diese verzerrte Ansicht in unserem Geist eingebettet! Obwohl wir immer wieder mit der Unbeständigkeit der Gestaltungen konfrontiert werden, ignorieren wir darum durchweg diese Offenbarungen der Wahrheit und frönen eitlem Denken des Erwerbs und des Genusses und bestärken dadurch die Vorherrschaft der falschen Wahrnehmung von Beständigkeit in unserem Geist. Daher werden wir sehr bekümmert über den Tod eines uns Nahestehenden, obwohl wir den Spruch "alle Gestaltungen sind unbeständig" von allen Seiten hören und sehen. Während uns die exzellente Möglichkeit der Vergegenwärtigung dieser Wahrheit geboten wird, beherrscht die Idee von Beständigkeit unseren Geist so gebieterisch, dass wir es fast unmöglich finden, unsere Aufmerksamkeit auf dem Merkmal der Unbeständigkeit zu fixieren. Nach kurzer Zeit, wenn unser Kummer nachgelassen hat, wenden wir uns bequem mit neubekräftigter Ansicht von Beständigkeit wieder unserem gewohnten Lebensstil zu.

Der Fall liegt gänzlich anders beim emsig Meditierenden, der die Betrachtung der Unbeständigkeit mit konzentriertem Geist entfaltet. Beim Meditierenden kann sich die Idee von Beständigkeit im Geist nicht festsetzen, da er sich die unbeständige Natur der Gestaltungen durch direkte Wahrnehmung vergegenwärtigt. So hat eine Verzerrung des Geistes oder eine Verzerrung der Ansicht bezüglich der Idee von Beständigkeit keine Chance wieder zu entstehen. Ferner erkennt er, dass die Idee von Beständigkeit - ob als Wahrnehmung, als Denken oder als Ansicht - welche vorher in seinem Geist so tief verwurzelt war, begonnen hat abzunehmen.

Wenn die Betrachtung der Unbeständigkeit durch wiederholte Entfaltung kraftvoll wird, vergeht die Wahrnehmung von Beständigkeit vollständig und die Wahrnehmung der Unbeständigkeit setzt sich im Geist durch. Der Meditierende realisiert, dass alle Gestaltungen der drei Welten einschließlich seiner fünf Anhäufungen sich dauernd verändern und auflösen. So gibt er, wenn er wiederholt die Betrachtung der Unbeständigkeit in Beziehung zur unbeständigen Gruppe der fünf Anhäufungen entfaltet, die falsche Idee, das falsche Denken und die falsche Ansicht auf, dass "die fünf Anhäufungen beständig und dauerhaft sind".



* * *

4. Sechs Vorteile der Betrachtung der Unbeständigkeit
"O Mönche, ein Mönch, der sechs Vorteile klar erkennt, sollte die Wahrnehmung der Unbeständigkeit in Bezug auf alle Gestaltungen unbegrenzt entfalten. Diese sechs sind:

  1. 'Alle Erscheinungen werden mir als unbeständig erscheinen.'
  2. 'Mein Geist wird keine Freude finden an allen drei Welten (sinnliche, feinstoffliche und unstoffliche).'
  3. 'Mein Geist wird aus allen drei Welten heraustreten.'
  4. 'Mein Geist wird auf's Nibbāna ausgerichtet sein.'
  5. 'Die Fesseln werden von mir aufgegeben werden.'
  6. 'Ich werde mit höchster Abgeschiedenheit ausgestattet sein.'"20




5. ANMERKUNGEN KAPITEL 1
1. "Bhikkhus, es gibt diese drei Merkmale, die das Bedingte als bedingt kennzeichnen. Welche drei? Ein Entstehen ist erkennbar, ein Vergehen ist erkennbar, eine Änderung des Bestehenden ist erkennbar" (A.I,152). Siehe auch S. III,37-40.


2. "Wenn die Anhäufungen in jedem Augenblick geboren werden, verfallen und sterben, so wirst auch du, Mönch, geboren, verfällst und stirbst" (KhuA. 50).


3. Bestimmte extrem verdienstvolle Leute, welche ihren Geist über eine lange Zeit im Samsāra erzogen haben und die Pāramīs (Vollkommenheiten) entfaltet haben, können Nibbāna allein durch Hören einer Dhamma-Erklärung realisieren. Gerade während des Zuhörens können sie ihre Tugend läutern, Konzentration erzielen und genügend Einsicht erwecken, um Nibbāna zu erreichen. Dieses ist bewiesen durch Suttas wie z.B. Bāhiya-Sutta (Ud.8, UdA.63), Vimuttāyatana-Sutta (A.III,.21ff., AA.II, 588) und Sangīti-Sutta (D.III, 241ff., DA.II, 756). Nicht nur durch Hören der Lehre, sondern auch durch Lehren, durch Vortragen, durch Nachdenken über die Lehre oder sogar durch ein klares Verständnis irgendeines Meditationsobjektes kann man Begeisterung erzeugen durch Begreifen des Dhamma. Durch weiteres Entfalten dieses Zustandes kann man angrenzende Sammlung erreichen, die Grundlage für das Praktizieren von Einsichtsmeditation und das Erreichen der Arahantschaft, wie im Vimuttāyatana-Sutta und dem zugehörigen Kommentar erklärt wurde (siehe oben). Nur jene, die sich mit der fördernden Kraft der Pāramīs eifrig bemühen, können Nibbāna so schnell erreichen. Für die meisten Leute ist zur Realisierung von Nibbāna eine ernsthafte Meditationspraxis über einen ausgedehnten Zeitraum notwendig, bis die Erfordernisse für die Erleuchtung (bodhi-pakkhiyā dhammā) gereift sind.


4. Die Wahrnehmung der Unbeständigkeit (anicca-saññā) wird im Girimānanda-Sutta (A.V,109) erklärt: "Und was, ānanda, ist die Wahrnehmung der Unbeständigkeit? Da, ānanda, erwägt ein Bhikkhu, der in einen Wald oder an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Hütte gegangen ist, dies: 'Materielle Form ist unbeständig. Gefühl ... Wahrnehmung ... Geistige Gestaltungen ... Bewusstsein ist unbeständig.' So verweilt er in Betrachtung der Unbeständigkeit betreffs der fünf Anhäufungen des Ergreifens. Dies wird Wahrnehmung der Unbeständigkeit genannt." Siehe auch DA.II,757; DT.74.


5. Pm.I,171. Der Kommentar fügt hinzu, dass der Meditierende mit einer langen Nase die Nasenspitze wählen sollte und einer mit kurzer Nase die Oberlippe (PmA.328).


6. Sabbakāyapatisamvedī assasissāmī´ti sikkhati; sabbakāyapatisamvedī passasissāmī´ti sikkhati: (D.II,291; M.I, 56). "'Den ganzen (Atem-)Körper wahrnehmend werde ich einatmen,' so übt er sich. 'Den ganzen (Atem-) Körper wahrnehmend werde ich ausatmen', so übt er sich." Der Begriff "ganzer (Atem-) Körper" bezieht sich auf die gesamte Menge der Ein- und Ausatmung, nicht auf den physischen Körper. Der Vism VIII,171 erklärt ferner, dass der Meditierende sich des Beginns, der Mitte und des Endes jeder Ein- und Ausatmung bewusst sein sollte. Um dies zustandezubringen, sollte er seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Punkt richten, wo der Atem zu spüren ist, entweder die Nasenspitze oder die Oberlippe. Weitere Details sind zu finden in Vism.VIII,198 ff. Im Pm.I,164 wird der Meditierende gewarnt, den Atem nicht in seinem Durchgang durch den Körper zu verfolgen, da dies ein Hindernis für die Konzentration sein kann. Deshalb ist der Beginn des Atems der Moment, wo er anfangs die Nasenspitze oder die Oberlippe berührt; das Ende ist der Moment, wo die Berührungsempfindungen aufhören; und die Mitte ist die Phase zwischen diesen zwei Punkten.


7. "Das Merkmal der Unbeständigkeit wird nicht offenbar, weil es, wenn Entstehen und Vergehen unbeachtet bleiben, durch Kontinuität verborgen wird." (Vism. XXI,3).


8. "Die Wahrnehmung der Unbeständigkeit usw. werden von einem vollendet, der mit Hilfe der Einsicht in das Geistig-Materielle und der Zweifelsüberwindung die behindernde Täuschung beseitigt hat und dadurch gefestigt wird im vollen Verständnis des Erkannten" (DT.73).


9. "Wenn die Kontinuität zerrissen ist durch das Erkennen von Entstehen und Vergehen, wird das Merkmal der Unbeständigkeit in seiner wahren Wesensart offenbar." (Vism. XXI,4).


10. "Alle Gestaltungen sind unbeständig. Warum? Wegen des Auftretens von Entstehen und Zerfall, wegen der Veränderung, wegen der Zeitweiligkeit und wegen der Unmöglichkeit der Beständigkeit" (Vism. XX,47). Siehe auch MA.II,93.


11. Um die Einsicht in die Bedingungen (paccaya-pariggaha) zu fördern, sollte der Meditierende nach der Einsicht ins Geistig-Materielle seine Aufmerksamkeit ausweiten durch Vermerken der Absicht. Vor einer Handlung sollte man die Absicht zum Handeln vermerken, z.B. vor dem Anheben der Hand sollte man zuerst die Absicht, die Hand anzuheben, vermerken. Anfangs erfordert dies bewusste Anstrengung, aber durch die Übung erfolgt das Vermerken unwillkürlich. Dies hilft zu klären, wie Geist und Materie in einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis funktionieren, d.h. dass das Anheben der Hand auf Grund der Absicht erfolgt.


12. Siehe Channa-Sutta (S.III,132-33) und Kommentar (SA.II,232).


13. Siehe A.II,33-34; S.III,85.


14. Die Texte zählen elf Methoden auf, wie das Merkmal der Unbeständigkeit durch Gruppen verstanden werden kann: "Welche materielle Form auch immer, ob (I-III) vergangen, gegenwärtig oder zukünftig, ob (IV-V) innere oder äußere, ob (VI-VII) grob oder fein, ob (VIII-IX) niedrig oder hoch, ob (X-XI) entfernt oder nah - all diese materielle Form definiert man als unbeständig. Dies ist die erste Form von Verständnis ..." (Pm.I,53). Die anderen vier Anhäufungen sind ähnlich zu verstehen. Das Ausmaß des Verstehens durch Gruppen hängt von der Kraft der Weisheit des Meditierenden ab.


15. Das Wissen vom Auf- und Untergang wird durch fünfzig Methoden vollendet. Als Erstes kommt das Verständnis der Entstehung des Materiellen durch fünf Arten der Beobachtung zustande: (I) durch Beobachtung des Merkmals der Entstehung; (II-V) durch die Beobachtung, dass das Materielle auf Grund von Unwissenheit, Begierde, Kamma und Nahrung entsteht. Als Nächstes wird das Aufhören des Materiellen durch fünf Methoden verstanden: (I) durch die Beobachtung des im Materiellen enthaltenen Merkmals der Veränderung; (II-V) durch die Beobachtung, dass das Materielle aufhört, wenn die jeweiligen vier Bedingungen aufhören. Die Beobachtung des Auf- und Untergangs der geistigen Anhäufungen geschieht ebenfalls in der selben zehnfachen Art und Weise, aber das Geistig-Materielle (nāma-rūpa) lässt Nahrung die Bedingung für die Anhäufung Bewusstsein sein, und Kontakt (phassa) statt dessen die Bedingung für die drei Anhäufungen Gefühl, Wahrnehmung und geistige Gestaltungen (Pm.I,54-57).


16. Mit dem Anpassungswissen (anuloma-ñāṇa) wird eine der drei Betrachtungen der Unbeständigkeit, des Leidens oder des Nicht-Selbst hervorstechend, wonach der Meditierende sofort das Nibbāna erfährt. Diese Erfahrung wird Befreiung (vimokkha) genannt. Welcher Gesichtspunkt des Nibbāna erfahren wird, ist abhängig von der mit dem Anpassungswissen zum Vorschein kommenden Betrachtung. Daher werden im Stadium der Anpassung die drei Betrachtungen als Tore zur Befreiung (vimokkha-mukha) bezeichnet. Wenn die Betrachtung der Unbeständigkeit das Tor ist, geht die zeichenlose Befreiung (animitta-vimokkha) daraus hervor; wenn es die Betrachtung des Leidens ist, geht die wunschlose Befreiung (appanihita-vimokkha) daraus hervor, wenn es die Betrachtung des Nicht-Selbst ist, geht die leere Befreiung (suññata-vimokkha) daraus hervor (Pm.II,48; Vism. XXI,66ff.)

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17. Pm.I,30-31. Darüber, wie diese vier Faktoren in Beziehung zu den Betrachtungen vorkommen, lies Pm.I,32-33. Bei jedem Gesichtspunkt sowohl der Samatha- als auch der Vipassanā-Meditation führt die Erfüllung dieser vier Bedingungen zum Erfolg. A.II,52; Pm.II,80. Alle drei Verzerrungen sind mit dem Erreichen des Stromeintritts ausgerottet: Pm.II,81; Vism.XXII,68.


18. Siehe Einleitung, Anmerkung 9.


19. A.II,52; Pm.II,80. Alle drei Verzerrungen sind mit dem Erreichen des Stromeintritts ausgerottet: Pm.II,81; Vism.XXII,68.


20. A.III,443.



Ñāṇārāma Mahāthera. Die Sieben Betrachtungen der Einsicht. © Theravadanetz.