1. Prolog
2. Asoka und die deutschen Theras
3. Eine günstige Zeit
4. Historischer Überblick
  4.1 Phase I: Die Entdeckung des Buddhismus
  4.2 Phase II: Aneignung durch die Elite
    4.2.1 Arnold und die Theosophen
    4.2.2 Die erste Blüte
  4.3 Phase III: Die Popularisierung des Buddhismus
    4.3.1 Erleichternde Faktoren
    4.3.2 Eine Vielfalt an Schulen
5. Schlussfolgerungen
  5.1 Wie können wir die Entwicklung des Buddhismus verstehen?
  5.2 Die Natur verabscheut ein Vakuum
  5.3 Die Voraussetzungen für die Popularisierung
  5.4 Der große Umschwung
  5.5 Die Notwendigkeit einer sozialen Ethik
  5.6 Die Suche nach Gemeinschaft
  5.7 Der Wechsel zwischen den Traditionen
6. Die Herausforderung, den Theravāda in den Westen zu bringen
  6.1 Die ideale Form
  6.2 Eine monastische Übermittlung
  6.3 Der Stand der monastischen Ausbildung
  6.4 Die Wiederbelebung der Meditation
  6.5 Die Ausbildung von Dhammadūtas
  6.6 Ein vorläufiger Abschluss

Bhikkhu Bodhi .Die Notwendigkeit den Buddhismus in Europa zu fördern.

Herausgeber
Theravadanetzwerk der DBU
Theravada-Texte, Theravada-Artikel, Texte zum Theravada

Theravāda-Arbeitsgemeinschaft innerhalb der
Deutschen Buddhistischen Union (DBU)
Deutsche Buddhistische Union (DBU) e.V.
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Fax: 089-28 10 53
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Internet: www.theravadanetz.de, www.buddhismus-deutschland.de

© D.B.U. 2005

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1. Prolog
Asoka Weeraratne war ein Mann mit Weitblick, der die Begeisterung und die Ausdauer besaß seine Vision in die Tat umzusetzen. Einmal sagte er mir, sein liebster Ausspruch des Buddha sei: "Lass dich nicht entmutigen und gib nicht auf, und gib dich auch nicht mit unvollendeten Werken zufrieden." Er selbst hat diesen Rat beherzigt. Wann immer er sich ein Ziel setzte, so träumte er nicht nur davon und sang ein Loblied davon, sondern arbeitete mit unglaublicher Weitsicht und Energie, um dieses Ziel zu erreichen. Weil er diesen Grundsätzen folgte, wurde Asoka Weeraratne's Leben durch drei große Leistungen gekrönt: den Aufbau der Deutschen Dharmadūta Gesellschaft in Sri Lanka, die Gründung des Buddhistischen Vihāra (Kloster; A.d.Ü.) in Berlin und die Schaffung der Nissarana Vanaya Eremitage bei Mitirigala, Sri Lanka.

Schon um 1950 sah Asoka das Potential für eine Begründung des Buddhismus im Westen voraus und gründete 1952 die Deutsche Dharmadūta Gesellschaft als seinen eigenen Beitrag für den Weg des Dhamma in den Westen. Er begann diese Gesellschaft in einem Hinterzimmer des Familienbetriebes, und später zog er in Räumlichkeiten um, die mit Mitteln seiner schwungvollen Spendensammlungen erstanden wurden.

Asoka erkannte aber, dass es nicht genug war, hier in Sri Lanka die Basis für eine deutsche buddhistische Mission zu errichten, wenn der Buddhismus in Deutschland Wurzeln schlagen sollte. Er sah die Notwendigkeit eines buddhistischen Zentrums direkt im Herzen von Deutschland. Also suchte er persönlich in ganz Deutschland nach geeigneten Räumlichkeiten und fand den idealen Platz im lieblichen Bezirk Frohnau in Berlin. Er hatte "Das Buddhistische Haus" entdeckt, ein altes buddhistisches Anwesen, das Paul Dahlke 1924 erbaut hatte. Unter seiner Anleitung erwarb die Deutsche Dharmadūta Gesellschaft das Anwesen, renovierte es und erweckte es 1957 als Buddhistischen Vihāra Berlin zu neuem Leben. Im gleichen Jahr organisierte und begleitete Asoka Weeraratne die erste buddhistische Mission nach Deutschland, die von drei Bhikkhus aus Sri Lanka geleitet wurde. Seit dieser Zeit haben Mönche aus Sri Lanka und anderen Ländern im Vihāra Berlin gelebt und dabei geholfen eine Theravāda-Präsenz in Deutschland aufrecht zu erhalten.

Später wandte Asoka Weeraratne sein Interesse dem Aufbau der Nissarana Vanaya Eremitage bei Mitirigala zu, die zu einem der angesehensten Meditations-Klöster Sri Lankas wurde. Er stattete das Kloster mit allem aus, was zum meditativen Leben beiträgt, fand mit dem Ehrw. Matara Sri Gnanarama Mahāthera einen vollendeten Meditations-Meister, um die Meditations-Übungen zu leiten und dann, nachdem seine Aufgabe vollbracht war, trat er selbst dem buddhistischen Orden unter dem Namen Ehrw. Dhammanisanthi Thera bei. Auch durch die Errichtung von Nissarana Vanaya fuhr Asoka damit fort, den Buddhismus den Menschen aus dem Westen zugänglich zu machen, denn die Einsiedelei hat westliche Mönche untergebracht, die seit 1977 in Sri Lanka wohnen.

2. Asoka und die deutschen Theras
Ich selbst traf Asoka Anfang der 80er Jahre, als er als Ehrw. Dhammanisanthi bekannt war. Ich fühlte mich ihm durch seine Hingabe an die Verbreitung des Buddhismus in Deutschland sofort eng verbunden. Obwohl ich selbst kein Deutscher bin, war mein spiritueller Mentor der große deutsche Mönch, der Ehrw. Nyāṇaponika Mahāthera, mit dem ich zwölf Jahre lang in der “Forest Hermitage” (Wald-Eremitage) lebte. Der Ehrw. Nyāṇaponika und sein Lehrer, der Ehrw. Nyāṇatiloka Mahāthera, ebenfalls ein Deutscher, hatten immer ein starkes Interesse an der Ausbreitung des Buddhismus in ihrem Geburtsland. In dieser Hinsicht verband sie eine gemeinsame Vision mit Asoka, was sie durch ihre Unterstützung der deutschen Dharmadūta Gesellschaft zum Ausdruck brachten. Der Ehrw. Nyāṇatiloka diente der Gesellschaft zu Beginn der frühen 50er Jahre als Schirmherr und all die Jahre stand der Ehrw. Nyāṇaponika stets mit Rat zur Verfügung. Ehe der Ehrw. Dhammanisanthi 1982 nach Deutschland abreiste, um in dem Berliner Vihara Wohnung zu nehmen, kam er zur Forest Hermitage, um den Ehrw. Nyāṇaponika zu treffen. Die beiden Mönche verbrachten an zwei Tagen mehrere Stunden mit der Diskussion über die Aussichten, den Buddhismus in Deutschland zu verbreiten. Ich erinnere mich daran, dass die Diskussion einen interessanten Kontrast darstellte zwischen dem begeisterten Optimismus des Ehrw. Dhammanisanthi und dem pragmatischen Realismus und der Zurückhaltung des Ehrw. Nyāṇaponika.

3. Eine günstige Zeit
Das Thema dieses Seminars: "Die Notwendigkeit den Buddhismus in Europa zu fördern" ist dem Gedenken an den Ehrw. Dhammanisanthi recht angemessen und erinnert uns an seine Lebensaufgabe, den Versuch die Botschaft des Buddha in den Westen zu bringen. Das Thema ist auch sehr zeitgemäß, denn die Gelegenheit den Buddhismus im Westen zu verbreiten ist heute viel günstiger als vor 50 Jahren, als die Deutsche Dharmadūta Gesellschaft entstand. Gleichzeitig sollten wir aber nicht annehmen, dass der Buddhismus in Europa kaum bekannt ist und von Grund auf vorgestellt werden muss. Ganz im Gegenteil hat in den beiden letzten Jahrzehnten der Buddhismus im Westen im Bewusstsein der Öffentlichkeit stark zugenommen.

In vielen westlichen Ländern ist der Buddhismus heute die Religion mit dem stärksten Wachstum. In Nordamerika, West Europa, Australien und Neuseeland sind fast über Nacht buddhistische Zentren entstanden, die Schulungen und Meditations-Retreats sogar in entlegenen Gegenden anbieten. Die Herausforderung, der wir gegenüberstehen, besteht also nicht in der Diskussion darüber, wie der Buddhismus in Europa einzuführen sei - so als wäre er eine völlig fremde Sache - sondern darin, herauszufinden, wie das gesunde Wachstum des Buddhismus, der auf europäischem Boden bereits Wurzeln geschlagen hat, zu fördern ist.

Ich werde mein Thema in drei größere Abschnitte unterteilen. Zuerst werde ich einen kurzen Überblick über die historische Entwicklung des Buddhismus in Europa geben. Er wird notwendiger Weise vereinfachend sein und damit unzureichend. Mein Ziel ist aber nicht so sehr sämtliche Fakten darzulegen, als vielmehr zu zeigen, wie der Buddhismus im Westen zu seinem gegenwärtigen Entwicklungsstand gekommen ist. Als nächstes werde ich die Frage behandeln, warum der Buddhismus gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine so starke Anziehung auf westliche Menschen ausübt. Und drittens, werde ich kurz ein paar Probleme erörtern, die wir dabei haben, unsere eigene Form des Theravāda-Buddhismus dem Westen als eine lebendige und wichtige Tradition zugänglich zu machen.

4. Historischer Überblick
Ich unterteile die Geschichte des westlichen Interesses am Buddhismus in drei große Phasen. Diese Phasen sind nicht völlig verschieden, denn sie fließen ineinander und überschneiden sich, dennoch ist diese Dreiteilung ein nützlicher Weg um allgemeine Trends aufzuzeigen.

Phase I: Die Entdeckung des Buddhismus
Die erste Phase der Entdeckung des Buddhismus bestand im akademischen Studium buddhistischer Texte und zielte darauf ab, die breiten Umrisse buddhistischer Geschichte und Lehre wahrzunehmen. Dies war auf dem Höhepunkt des Kolonialismus, als die europäischen Länder damit beschäftigt waren, die Völker Asiens zu unterwerfen und deren Nationen ihren hungrigen Weltreichen einzuverleiben. In vielen Fällen war das europäische Interesse mit christlich missionarischem Bemühen verknüpft, die einheimische Bevölkerung zum Christentum zu bekehren.

Obwohl Berichte über Glauben und Praxis des Buddhismus in Asien bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden können, nahm in Europa das Bild des Buddhismus erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine klare Form an; also gerade vor etwas mehr als 150 Jahren. Davor waren die verschiedenen Berichte, welche die Gelehrten in Europa erreicht hatten, im allgemeinen recht willkürlich, ungenau und basierten auf Vermutungen, wenn sie nicht geradezu phantastisch waren. Der brilliante französische Philologe Eugene Burnouf erfasste den Buddhismus erstmals als zusammenhängende Tradition und zeigte dessen historischen Ursprung auf. Er hatte Pāli und Sanskrit studiert sowie tibetische Manuskripte, die ihm aus dem Osten nach Paris geschickt worden waren. Auf diese Texte gegründet und ohne weitere Anhaltspunkte schrieb er 1844 sein 600-seitiges Werk: Introduction to the History of Indian Buddhism (Einführung in die Geschichte des Buddhismus in Indien). Er verfolgte darin detailliert die Geschichte des indischen Buddhismus und gab einen Überblick über Lehrinhalte und Texte. Obwohl spätere Generationen von Gelehrten Burnoufs Werk wesentlich erweitert haben und viele fehlende Teile ergänzten, erachten sie doch die Darstellung des indischen Buddhismus im Wesentlichen so als richtig, wie er ihn in seiner grundlegenden Studie vorgeschlagen hatte.

In den Jahrzehnten, die auf Burnouf folgten, gab es überall in Europa viele brilliante Gelehrte, welche die Schätze entdeckten, die in all den verschiedenen Zweigen des Buddhismus verborgen waren. Diese Gelehrten sind in drei Hauptrichtungen zu unterscheiden. Die Gelehrten der "Anglo-Germanischen Schule" richteten ihr Augenmerk auf die Pāli-Tradition. Ihre Arbeit ging von der von T.W. Rhys Davids gegründeten "Pāli Text Society" aus. In ihren Reihen fanden sich Vertreter wie Caroline Rhys Davids, Oldenberg, Woodward , Hare und Horner; die dänischen Gelehrten Trenckner, Fausboll, Anderson und der Schwede Helmer Smith. Die "Franko-Belgische Schule" untersuchte indischen Buddhismus, sowohl Hinayāna als auch Mahāyāna in Sanskrit, Tibetisch und chinesischen Texten. Ihre herausragenden Vertreter waren de la Vallee Poussin, Sylvain Levy und Lamotte. Die "Russische Schule", vertreten durch Stcherbatsky, Rosenberg und Obermiller, konzentrierte sich auf den scholastischen, indischen Buddhismus, wie er speziell in tibetischen Texten erhalten blieb. Obwohl diese Gelehrten sich bezüglich ihres eigenen religiösen Glaubens gewöhnlich sehr zurückhielten, legten sie durch das Sammeln asiatischer Manuskripte und die Veröffentlichung moderner Editionen dieser Texte sowie das Erstellen von Übersetzungen und gelehrten Studien über buddhistisches Denken, den unentbehrlichen Grundstein zur Verbreitung des Dhamma im Westen und eröffneten den Zugang zu den buddhistischen Originalquellen.

Das durch diese Pioniere eingeleitete akademische Studium des Buddhismus hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt, trotz der Hemmnisse durch zwei Weltkriege und häufiger Finanzprobleme. In westlichen Universitäten und Instituten kartographieren Gelehrte in immer feineren Details und grösserer Breite das gesamte buddhistische Erbe, von Sri Lanka bis zur Mongolei, von Gandhara bis nach Japan. Was ich in der Geschichte des westlichen Buddhismus "Phase I" nenne, ist daher nicht so sehr ein temporärer Zustand, der von seinen Nachfolgern übertroffen wird, als vielmehr eine Vorbereitung für die weitere Evolution des Buddhismus in seinem westlichen Umfeld.

4.2 Phase II: Aneignung durch die Elite
Die zweite Phase der Begegnung Europas mit dem Buddhismus werde ich "Aneignung durch die Elite" nennen. Damit meine ich die Annahme des Buddhismus als einen lebendigen Glauben durch eine steigende Zahl von Intellektuellen, Schriftstellern, Künstlern und Fachleuten. In der deutschsprachigen Welt war der Philosoph Arthur Schopenhauer der Katalysator für den Übergang von der rein akademischen Untersuchung des Buddhismus zu seiner aktiven Aneignung. Schopenhauer veröffentlichte 1819 die erste Ausgabe seines philosophischen Meisterwerkes: "Die Welt als Wille und Vorstellung", noch ehe er auf verlässliche Berichte über buddhistisches Denken gestoßen war. Seine philosophische Intuition zeigte jedoch solch offensichtlichen Parallelen zum Dhamma, dass Schopenhauer Jahrzehnte später, als ihm genaues Material über den Buddhismus zugänglich wurde, sofort die Nähe seines eigenen Denkens zur Lehre des Buddha erkannte. Daher begrüßte er in der zweiten Ausgabe seines Buches den Buddhismus "als die vollkommenste" aller Weltreligionen. Seine Bewunderung für den Buddha ging so weit, dass er eine kleine Statue des Meisters neben einer Büste seines philosophischen Helden, Immanuel Kant, auf seinem Kaminsims stehen hatte.

Schopenhauer selbst wurde kein Buddhist, was im Europa seiner Tage ja fast undenkbar gewesen wäre, aber seine Schriften hatten eine tiefe Wirkung auf spätere europäische Denker und führten viele zum Dhamma. Zumindest drei größere Persönlichkeiten verdankten ihre Entdeckung des Buddhismus Schopenhauers Einfluss: Der österreichische Indologe Karl Eugen Neumann, der den Digha- und Majjhima-Nikāya und andere Pāli-Texte ins Deutsche übersetzte; der bayerische Richter Georg Grimm und der Berliner Homöopath Paul Dahlke. Die beiden letzteren wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch ihre Schriften und Missionsarbeit die beiden bedeutendsten Fürsprecher des Buddhismus in Deutschland. Ihre Schriften analysierten Buddhismus nicht einfach mit Begriffen objektiver unpersönlicher Kategorien, sondern versuchten Buddhismus aus dem Innern her zu erklären, wie er von einem Menschen erfahren wird, der den persönlichen Sprung in den Glauben vollzogen hat.

4.2.1 Arnold und die Theosophen
In der englischsprachigen Welt kam der primäre Anstoß zur Akzeptanz des Buddhismus in gebildeten westliche Schichten durch Sir Edwin Arnolds inspirierendes Gedicht über Buddhas Leben: "The Light of Asia" (Das Licht Asiens). Arnold zeichnet den Buddha als eine heroische Gestalt, deren Persönlichkeit tiefes Mitgefühl für die gesamte Menschheit mit einer meisterlichen Fähigkeit zu rationalem Denken vereinte. Diese beiden Fähigkeiten passten vollkommen zum intellektuellen Milieu dieser Periode und erweckten in Arnolds Lesern einen neuen Respekt für den Buddha und auch Interesse für seine Lehren. Obgleich konservative Christen über den Erfolg des Gedichtes verärgert waren, war die britische intellektuelle Elite jener Zeit liberal genug, sich durch den Alleinanspruch des Christentums auf den Besitz der Wahrheit nicht eingeschränkt zu fühlen. Die theosophische Bewegung, die Madame Blavatsky und Henry Steele Olcott gegründet hatten, gab dem Buddhismus auch in der anglo-amerikanischen Welt Profil. Obzwar ihre Auslegung des Buddhismus als ein populärer Ausdruck esoterischer Weisheit an das Groteske grenzte, halfen die Theosophen dadurch jedoch, den Buddhismus bei alternativ Denkenden populär werden zu lassen.

4.2.2 Die erste Blüte
Inspiriert vom Dhamma verließen einige abenteuerliche Geister - mit bloßem Buchwissen unzufrieden - ihre Heimat, um in den Osten zu reisen und den Buddhismus an seinen Quellen zu studieren. Andere, wie Childers und Rhys Davids, die in Asien in der kolonialen Verwaltung arbeiteten, hatten bereits Zugang zu einheimischen Autoritäten im Dhamma. Mit der Jahrhundertwende unternahmen einige Westler den entscheidenden Schritt und gingen in den Osten um dem Sa‰gha (der Ordensgemeinschaft) beizutreten. Die Pioniere dieser Entwicklung waren der Engländer Allen Bennett, der (1901) in Burma der Ehrw. ṇnanda Metteyya wurde und Anton Gueth, welcher (1903) der Ehrw. Nyāṇatiloka wurde. Während der Ehrw. ṇnanda Metteyya nach einer versuchten Mission in Britannien die Mönchsrobe ablegte, ließ sich der Ehrw. Nyāṇatiloka dauerhaft in Sri Lanka nieder, wo er 1911 die "Island-Hermitage" (Insel-Eremitage), als ein Kloster speziell für westliche Mönche, gründete.

Vom frühen 20. Jahrhundert an entstanden in Europa Buddhistische Gemeinschaften. Die Herausgabe buddhistischer Zeitschriften und zahlreiche Bücher über Buddhismus - mit unterschiedlichem Authentizitäts-Grad - suchten die Kluft zwischen klassischem Buddhismus und dem westlichen, intellektuellen Erbe zu überbrücken. Während dieser Phase der "Annahme durch die Elite" bevorzugten die meisten Vertreter des Buddhismus die Pāli-Tradition, da sie den ursprünglichen Lehren des Buddha viel näher war als die rätselhaften und ausgeschmückten Mahāyāna Sutren. Was diese Denker im Buddhismus betonten, war seine Rationalität und sein Realismus, seine ethische Reinheit, seine Toleranz, sein undogmatisches Herangehen an die Wahrheit und seine Vereinbarkeit mit der modernen Wissenschaft. Mit wenigen Ausnahmen wurden in dieser Phase die Aspekte der Meditation, der Gemeinde und der Hingabe im Buddhismus stillschweigend beiseite gelassen. In anderen Worten: Theorie überwog die Praxis.

4.3 Phase III: Die Popularisierung des Buddhismus
Die dritte Phase in der Ausbreitung des Buddhismus im Westen begann grob gerechnet in den 60er Jahren und dauert bis in die Gegenwart an. Diese dritte Phase kann als die "Popularisierung des Buddhismus" bezeichnet werden. Während dieser Zeit übte der Buddhismus einen immer stärkeren Reiz auf eine wachsende Zahl von Menschen unterschiedlicher Lebensart aus, und seine Nachfolge nimmt rasch stark zu. Zu Beginn dieser Phase war der Buddhismus weitgehend ein Phänomen der Gegenkultur, angenommen von jenen, die gegen den krassen Materialismus und die technokratischen Besessenheiten der modernen Gesellschaft rebellierten: Hippies, LSD-Freaks, unzufriedene Universitäts-Studenten, Künstler, Schriftsteller und Anarchisten. Als diese jugendlichen Rebellen aber allmählich in den Lebensstrom integriert wurden, brachten sie ihren Buddhismus mit.

Heute wird der Buddhismus aber nicht nur von jenen Alternativen unterstützt, sondern von Geschäftsleuten, Ärzten, Computer-Programmierern, Hausfrauen, Grundstücksmaklern, sogar von Sport-Stars, Filmschauspielern und Rock-Musikern. Vielleicht einige Hunderttausend Europäer haben Buddhismus in der einen oder anderen seiner unterschiedlichen Formen angenommen, wobei noch viel mehr Menschen stillschweigend buddhistische Praktiken in ihr tägliches Leben einfügen. Auch die Präsenz großer asiatisch-buddhistischer Gemeinschaften im Westen verstärkt die Sichtbarkeit des Dhamma. Tausende von Büchern über Buddhismus sind jetzt verfügbar, die die Lehren sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf volkstümlicher Ebene behandeln. Buddhistische Magazine und Zeitschriften steigern ihre Verbreitung jährlich. Buddhistische Einflüsse durchdringen ganz sachte verschiedene Disziplinen: Philosophie und Ökologie, Psychologie und Gesundheitsvorsorge, die Künste und die Literatur, ja sogar christliche Theologie. Das Magazin "Time" hat sogar schon vor drei Jahren einen Leitartikel in voller Länge der Ausbreitung des Buddhismus in Amerika gewidmet und mindestens fünf Bücher zu diesem Thema sind in Druck.

4.3.1 Erleichternde Faktoren
Der Übergang im westlichen Buddhismus von Phase II zu Phase III wurde durch zwei Hauptfaktoren erleichtert. Einer war die wachsende Zahl asiatischer buddhistischer Lehrer, die in den Westen reisten, - Theravāda-Bhikkhus, japanische Zen-Meister, tibetische Lamas – entweder, um Unterricht zu erteilen und Retreats zu leiten, oder um sich hier auf Dauer niederzulassen und buddhistische Zentren zu errichten. Der zweite Faktor war die Rückkehr junger westlicher Menschen in den Westen, die in den späten 60er und frühen 70er Jahren in Asien ausgebildet worden waren und jetzt in ihre Heimatländer zurückkamen, um den Dhamma zu verbreiten. Von Mitte der 80er Jahre an sehen wir sogar eine neue Unterphase der Phase III oder vielleicht auch ansatzweise eine Phase IV; nämlich das Erscheinen einer Generation westlicher Buddhismus-Lehrer, die nie in Asien waren, sondern ihre volle Ausbildung im Westen erhalten haben.

Was in der Phase III - im Unterschied zu den früheren Phasen - für den westlichen Buddhismus charakteristisch ist, ist der Schwerpunkt auf der buddhistischen Praxis, besonders der Übung der Meditation. In dieser Phase ist nicht das akademische Studium buddhistischer Texte und Doktrinen dominierend (wie in Phase I), oder der Versuch, den Dhamma durch das Prisma westlichen Denkens zu interpretieren (wie in Phase II), sondern die Anwendung des Buddhismus als Praxis, die tiefe Umwandlungen im eigenen tiefsten Inneren, wie auch im Alltagsverhalten mit sich bringen kann. Das heißt nicht unbedingt, dass buddhistische Praxis gemäss kanonischen oder traditionellen asiatischen Modellen aufgenommen wird, oder dass sie befolgt wird, um Nibbāna, im Sinne der klassischen, buddhistischen Lehre zu erlangen. Häufig geben westliche Buddhisten den buddhistischen Konzepten ihre eigene Deutung, manchmal in einer Art und Weise, die drastisch vom kanonischen Standard abweicht und aus asiatischer Sicht an "Ketzerei" grenzen könnte. Aber in der Phase III wird der Buddhismus in gewissem Sinne als ein Pfad zum Erwachen gesehen, als ein Weg, der dem Geist tiefes Verstehen erbringt und neue Dimensionen des Seins erschließt. In diesem Stadium wird Buddhismus daher ein Mittel spiritueller Wandlung durch direkte Erfahrung - durch Einsichten, die nicht durch bloße begriffliche Reflektion zu erreichen sind.

4.3.2 Eine Vielfalt an Schulen
In Phase III findet die Ankunft verschiedener Schulen des asiatischen Buddhismus statt, die friedlich koexistieren, ihr eigenes Wachstum anstreben und zur Sicherung gemeinsamer Ziele miteinander kooperieren. Mit dem Übergang von Phase II zu Phase III findet eine deutliche Verschiebung statt, welche Art des Buddhismus gewöhnlich von westlichen Buddhisten angenommen wird. In Phase II herrschte der Pāli-Buddhismus vor; aber ich muss betonen, dass dieses Festhalten am Pāli-Erbe keine Bindung an irgendeine in den asiatischen Ländern praktizierte Form des Theravāda-Buddhismus mit sich brachte. Tatsächlich sahen die Elite-Buddhisten den asiatischen Theravāda oft als eine Degeneration der ursprünglichen, kanonischen Lehre an, die sie einzig und allein zu besitzen glaubten. Mit dem Entstehen der Phase III entfernt sich der Brennpunkt des Interesses von der Pāli-Tradition: Zuerst Richtung Zen-Buddhismus in den 60er und 70er Jahren und dann zum tibetischen Vajrayāna-Buddhismus in den 80er und 90er Jahren. Weiterhin treten noch neue Arten von Buddhismus in die Szene, dem Westen eigene Schulen, so wie Thich Nhat Hahns "Intersein-Orden " (Order of Interbeing - in Frankreich basierend, aber mit einem starken amerikanischen Zweig), ferner "Arya Maitreya Mandala" (Zentrum in Deutschland) und die "Freunde des Westlichen Buddhistischen Ordens " (Friends of the Western Buddhist Order - in Großbritannien basierend, aber mit einigen Zweigen auf dem Kontinent). Dies sind teils synkretistische, teils innovative Versuche, neue Stile buddhistischer Praxis entsprechend westlichem Temperament zu schaffen. Auch die Altersklassen der Anhänger des Buddhismus sind zwischen den Schulen unterschiedlich. Heute sind in Deutschland die meisten Anhänger der Pāli -Tradition um die 50 und 60 Jahre alt, während die Anhänger des Zen und des tibetischen Buddhismus um die 30 und 40 sind. Diese Entwicklung zu verstehen ist für uns, als Anhänger des Theravāda, von kritischer Bedeutung, und ich werde daher später darauf zurückkommen.


5. Schlussfolgerungen
5.1 Wie können wir die Entwicklung des Buddhismus verstehen?
Die westliche Aufgeschlossenheit für den Buddhismus
An dieser Stelle möchte ich die Frage stellen: Wie sollen wir diese Woge des Interesses westlicher Menschen am Buddhismus in den vergangenen Jahren verstehen? Wie deuten wir den Eifer, mit dem heute so viele Menschen bereit sind den Dhamma zu erforschen und häufig auch zutiefst zu erfassen? Es ist notwendig diese Frage anzusprechen, damit wir beginnen können die Bedürfnisse zu erkennen, die wir erfüllen müssen, wenn wir versuchen unseren eigenen Beitrag zur Verbreitung des Dhamma in Europa zu leisten.

5.2 Die Natur verabscheut ein Vakuum
Ich denke, die Antwort auf diese Frage ergibt sich, grob gesagt, auf zwei unterschiedlichen Stufen -entsprechend den letzten zwei Phasen in der westlichen Akzeptanz des Buddhismus, wie ich sie eben schilderte. Während Phase II, der "Aneignung durch die Elite", wurden Intellektuelle vom Buddhismus angezogen, weil er ein Vakuum füllte, das sich in Europa seit dem 17. Jahrhundert immer weiter ausgedehnt hatte. Dieses Vakuum war das Fehlen irgend eines umfassenden Schatzes an Weisheitslehren, die einen Schlüssel zur tieferen Bedeutung menschlicher Existenz hätten bieten können. Die Verantwortung, Licht auf den Daseinssinn zu werfen, wurde traditionsgemäß der Philosophie zugewiesen, doch vom 17. Jahrhundert an gab die Philosophie diese Aufgabe zu Gunsten anderer Anliegen auf. Außerdem war die von der Philosophie gebotene Führung, wie in Spinozas "Ethik", gewöhnlich in derartig subtile und komplexe Gedankensysteme eingebettet, dass sie nur von wenig Menschen verstanden werden konnte.

Natürlich erhob auch das Christentum für sich den Anspruch, den Schlüssel zum Rätsel des Daseins zu besitzen - aber es war nicht das Hauptanliegen des orthodoxen Christentums, den Weg zur Weisheit aufzuzeigen. Sein Ziel ist es vielmehr, die Aussicht auf ein ewiges Weiterleben im Himmel anzubieten durch den Glauben an Gott und an Christus, den Erlöser - und es war gerade ein solcher Glaube, der zunehmend in Frage gestellt wurde. Außerdem war die Geschichte des Christentums als Verteidiger menschlicher Werte keineswegs beeindruckend. Ihr Erbe an Kreuzzügen, Inquisitionen, erzwungenen Konversionen und Intoleranz wirkte auf ethisch sensible Gemüter eher abstoßend als anziehend, während ihre Allianz mit den kolonialen Regimen den Verdacht auf ihre imperialistischen Absichten bestätigte. Als die Wissenschaft dann noch kühn von einem Bereich des Wissens zum andern voranschritt, häufig angesichts des festen Widerstandes der Kirche, machte sie den christlichen Anspruch auf die Unfehlbarkeit der Offenbarung unglaubwürdig. Für eine wachsende Zahl unabhängiger Denker war die christliche Religion belanglos geworden.

Als im späten 19. Jahrhundert Übersetzungen buddhistischer Texte und Darlegungen buddhistischen Denkens zu erscheinen begannen, boten sie dem Westen offenbar genau das an, was ihm fehlte:
Ein System spiritueller Weisheit, das Erleuchtung und moralische Führung geben konnte, aber dennoch keinen blinden Glauben an theologische Dogmen forderte. Statt dessen fußten seine Forderungen auf menschlichem Verstand und persönlicher Einsicht in die fundamentalen Wahrheiten und universellen Gesetze. Die Art und Weise wie der Buddhismus während dieser Periode auf den westlichen Geist Einfluss nahm, enthüllt die Stärke und die Schwäche des westlichen Verständnisses des Buddhismus. Die Stärke lag im tiefen und klaren Erfassen der prinzipiellen Lehrgrundsätze des Dhamma, ausgedrückt in Arbeiten, die äußerst überzeugend in ihrer Einsicht, Logik und literarischen Gewandtheit waren. Die Schwäche war, den Buddhismus primär als rationales, ideelles System zu verstehen, welches das wankende Glaubenssystem der christlichen Kirchen ersetzen sollte. Eine andere Begrenzung lag darin, dass der Buddhismus in dieser Phase immer noch vorwiegend die gebildete Elite ansprach und daher nur diejenigen anziehen konnte, die geschickt genug waren, sich vom kulturellen und religiösen Hauptstrom loszureißen, der noch immer vorwiegend christlich war.

5.3 Die Voraussetzungen für die Popularisierung
Für den Übergang zu Phase III – das ist die weite Ausbreitung des Buddhismus in der allgemeinen Bevölkerung – waren bestimmte zusätzliche Voraussetzungen nötig, und diese wurden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausreichend erfüllt. Eine Voraussetzung war der Triumph liberaler Demokratien über autokratische politische Systeme. Unter Demokratie dürfen wir nicht nur politische Demokratie verstehen, sondern auch die Demokratie des Geistes, einer Offenheit für neue Wege des Denkens und der Toleranz für Sichtweisen, die radikal von der des eigenen intellektuellen Erbes abweichen. Diese Offenheit wurde durch einen teilweisen Wandel in der Haltung der christlichen Kirchen gegenüber anderen Glaubensrichtungen ermutigt, die im Westen nach dem "Zweiten Vatikanischen Konzil" (1963-65) zu größerem Respekt und zu Toleranz gegenüber nicht-christlichen Religionen neigten.

Ein zweiter, vorbereitender Faktor war ein gutes Maß an wirtschaftlichem Wohlstand, der die Europäer von übermäßiger Sorge um materielle Sicherheit befreite und ihnen die Muße gab, neue Wege des Denkens zu erforschen. Das Entstehen der Konsumgesellschaft half ihnen auch, die Grenzen materieller Entwicklung zu sehen, als keiner endgültigen Lösung für unsere Suche nach Glück.

Ein dritter Faktor war der relativ hohe Standard liberaler Erziehung, der sich in den 60er Jahren etabliert hatte und es einem großen Teil junger Leute ermöglichte, die Universität zu besuchen. Höhere Bildung brachte sie in Kontakt mit einer Vielfalt von Sichtweisen in allen Bereichen menschlichen Wissens und schulte sie auch, kritisch und tief über neue Ideen nachzudenken.

Ein vierter, vorbereitender Faktor waren die verbesserten Mittel für Transport und Kommunikation, die den Kontakt zwischen Ost und West erleichterten. Neugierige aus dem Westen konnten jetzt leicht in den Osten reisen, um Buddhismus aus erster Hand, in seiner eigenen, ursprünglichen Umgebung zu erfahren, und Lehrer aus Asien konnten in den Westen kommen, um den Dhamma zu verbreiten.

Der fünfte Faktor ergibt sich ganz natürlich aus dem vierten; es war die tatsächliche Ankunft buddhistischer Lehrer im Westen, sowohl asiatischer, als auch in Asien geschulter westlicher Lehrer. Diese Lehrer brachten den Buddhismus als einen dynamischen Glauben mit, den sie aufgrund ihres jahrelangen, ernsthaften Trainings in ihrem Leben verkörperten.

5.4 Der große Umschwung
Die obigen fünf Faktoren stellten zwar die notwendigen Voraussetzungen dar, dass der Buddhismus einer namhaften Anzahl von Europäern zugänglich wurde, sie sind jedoch keine hinreichende Erklärung für den schnellen Anstieg des westlichen Interesses am Buddhismus. Um aber den entscheidenden Grund für dieses Phänomen herauszuarbeiten, muss ich auf das Vakuum oder die Leere zurückkommen, die sich unmittelbar unter den Füssen der europäischen Zivilisation aufgetan hatte, das heißt, auf das Fehlen einer soliden und zuverlässigen spirituellen Tradition, die bei der Meisterung des Lebens Anleitung geben konnte. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde diese Leere nur von den kritischeren westlichen Geistern empfunden, die sowohl vom doktrinären Christentum als auch vom wirtschaftlichen Materialismus ernüchtert waren. Gewöhnliche Leute waren irgendwie in der Lage, ihren herkömmlichen christlichen Glauben im Gleichgewicht zu halten mit einem heiteren Optimismus über das kommende goldene Zeitalter, das durch Wissenschaft und Technologie erschaffen werden sollte.

Um die späten 50er Jahre hatte sich das Bild aber drastisch verändert. Nach zwei Weltkriegen und einem anhaltenden Kalten Krieg, der die ganze Welt mit thermonuklearer Zerstörung bedrohte, fanden zahllose Menschen ihren Glauben an die der menschlichen Natur innewohnende Güte am Boden zerstört. Schrecken, wie der Nazi-Holocaust und die Hiroshima Atombombe untergruben nicht nur den Glauben an einen wohlwollenden Gott, der die gesamte Schöpfung leitet, sondern brachte auch die Gefahren ans Licht, die in einer bloßen Rationalität liegen, die nicht von einer höheren Weisheit und unerschütterlichen, ethischen Verpflichtung erhellt ist. Die brillantesten Geister des Westens hatten die ganze Welt zweimal in barbarische Irrationalität gestürzt - mit Todesopfern in der Größenordnung von mehreren Zehn-Millionen - indem sie sich nur auf den rationalen Intellekt verließen. Jetzt, da noch tödlichere Zerstörungswaffen verfügbar waren, drohten sie dies erneut zu tun. Die Leere, die sensible Denker des 19. Jahrhunderts am Horizont gesehen hatten, hatte sich ausgebreitet, bis sie fast jeden verschlang. Und sie hatte sich nicht nur ausgebreitet, sondern für viele eine scharfe und zwingende Dringlichkeit angenommen, die nicht durch ein System von Ideen, wie edel auch immer, zu lösen war. Was die Menschen brauchten, war ein Aktionsprogramm, was in vielen Fällen ein tiefes, persönliches Engagement auf der spirituellen Suche bedeutete.

Zur gleichen Zeit, da die Angst vor dem Atomkrieg lange Schatten über die gesamte Erde warf, brachte ein noch nie dagewesener materieller Reichtum im Westen die Annehmlichkeiten, Bequemlichkeiten und Sinnesfreuden in greifbare Nähe, von der frühere Generationen nur geträumt hatten. Während jedoch dieses Verbraucherparadies viele faszinierte (und das auch immer noch tut), erkannten einige wenige Menschen, "die nur wenig Staub in den Augen hatten", dass solche weltlichen Freuden dem Herzen keinen dauerhaften Frieden bringen konnten. Für solch spirituell sensible westliche Menschen war an diesem Punkt die in den Vier Edlen Wahrheiten eingebettete Botschaft nicht mehr bloß ein prächtiges Gedankensystem, das vom bequemen Lehnstuhl aus zu bewundern war. Die Botschaft war vielmehr zur Medizin geworden, um eine schreckliche Krankheit zu heilen, die Krankheit des Leidens. Und das einzig Vernünftige war, wie es mit jeder Medizin zu tun ist, sie einzunehmen. Daher stellte sich der Dhamma für die Buddhisten in Phase III des westlichen Buddhismus als ein Praxis-Weg dar, der sich um die Schulung und Beherrschung des Geistes drehte. Als Lehrer und Zentren verfügbar wurden, nahm eine wachsende Zahl westlicher Schüler begierig die Praxis auf, bereit ihr zu folgen, wohin sie auch immer führen mochte.

5.5 Die Notwendigkeit einer sozialen Ethik
Der Buddhismus aber bot nicht nur eine Methode der Geistesschulung, die inneren Frieden und tiefere Selbsterkenntnis vermitteln konnte, er erfüllte auch ein weiteres profundes Bedürfnis des westlichen Gemütes. Die westliche Zivilisation war als Teil ihres tiefen, intellektuellen Erbes der Idee verbunden, dass menschliches Glück zum großen Teil abhängt von der Reformierung der sozialen Ordnung durch Wege, die politische Tyrannei, wirtschaftliche Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit beseitigen. Die Verpflichtung zu dieser Prämisse war für das Entstehen der Demokratie im Westen verantwortlich, wie auch für weniger erfolgreiche Experimente mit verschiedenen Formen des Sozialismus. Die Erfahrungen des 19. und 20. Jahrhunderts hatten jedoch gezeigt, dass das bloße Erstreben von Freiheit und Demokratie ohne einen Kodex ethischer Führung ganz leicht auch das Gegenteil hervorbringen konnte. Die französische Revolution, die unter dem Motto: "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" begann, endete deshalb mit der Guillotine. Die bolschewistische Revolution mit ihrem Versprechen: "Diktat des Proletariats" gipfelte im Sowjet-Polizeistaat. Westliche Idealisten sahen im Buddhismus die Grundlagen für eine hohe soziale Ethik, verpflichtet dem Weltfrieden, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Vernunft, aber doch von innen durch seinen Moral-Kodex gegen die Auswüchse geschützt, zu welchen westlicher politischer Utopismus neigt.

5.6 Die Suche nach Gemeinschaft
Um den Reiz zu verstehen, den der Buddhismus auf viele westliche Menschen heute ausübt, ist ein weiterer Faktor zu betrachten: Der generelle Zusammenbruch der Gemeinschaft in der modernen westlichen Kultur. Die alten, menschengerechten Sozialstrukturen, die es jeder Person gestatteten, einen sinnvollen Platz im Ganzen zu finden, wichen mit zunehmender Industrialisierung und Verstädterung monströsen Institutionen, die Individuen zu reinen Zahnrädern in einer unpersönlichen Sozialordnung reduzierten. Es ist soweit gekommen, dass sich die Menschen isoliert fühlen, verfremdet, abgeschnitten von den Banden sozialer Solidarität, gefangen in einem System, das rücksichtslosen Individualismus nährt. Diese destruktiven Werte haben eine weitverbreitete, psychologische Krise hervorgerufen, die von chronischem Stress, Angst und Depression gekennzeichnet ist. Die Auswege, die die Menschen suchen, sind: Wechsel des Geschlechtspartners, gewalttätige Unterhaltungen, Alkoholismus und Drogen; doch diese bieten natürlich keine wirkliche Lösung.

Als der Buddhismus auf der Szene auftauchte, schien er ein Gegengewicht gegen die Einsamkeit und Isolation zu bieten, die so viele Menschen sogar in ihren übervölkerten Städten fühlten. Einerseits betonte er solche Werte wie universale Liebe, Mitgefühl, Kooperation und Selbstlosigkeit - halbvergessene Ideale des christlichen Erbes. Aber andererseits genauso wichtig: Er führte einen neuen Gemeinschaftssinn ein.

Als buddhistische Gruppen nach ihrer eigenen Organisationsform suchten, entwickelten sie sich allmählich in Richtung des Modells des buddhistischen Zentrums, wo Mitübende sich regelmäßig in einem Geist der Freundschaft treffen, um den Dhamma gemeinsam zu üben und zu studieren, gewöhnlich unter der Leitung eines Lehrers. Viele buddhistische Gemeinschaften haben jetzt Möglichkeiten der Unterbringung, wo die ernsthafteren Mitglieder vorübergehend oder dauerhaft leben. Manche haben Stadt-Zentren, die den Menschen während der Arbeitswoche zugänglich sind, und Landzentren in einiger Entfernung, wo sich Mitglieder für längere Meditations-Retreats aufhalten können.

5.7 Der Wechsel zwischen den Traditionen
Wie ich schon früher erwähnte, fand ein Wechsel von der Pāli-Tradition hin zu Zen und tibetischem Vajrayāna statt, als der Buddhismus im Westen in Phase III eintrat. Eine Erklärung dafür könnte das attraktivere, exotischere Erscheinungsbild dieser Schulen des Buddhismus sein. Ein anderer Faktor wäre vielleicht die charismatischen Persönlichkeiten ihrer Lehrer, den Zen-Meistern und tibetischen Lamas. Aber eine solche Erklärung ist noch nicht vollständig. Der Hauptgrund dafür, dass diese Traditionen gegenüber dem Theravāda an Popularität gewonnen haben, ist - glaube ich - weil innerhalb ihrer Gemeinden die Tradition der Meditations-Praxis lebendiger erhalten wurde, als in der Hauptrichtung Theravāda. Sicherlich betonte der Buddha im Pāli-Kanon wiederholt die Dringlichkeit der Meditation vor allem anderen und diese Botschaft lebt in kleinen Gruppen ernsthafter Theravāda-Übender in ganz Süd-Asien fort. Die europäischen Buddhisten der älteren Generation hatten aber schon die Richtung vorgegeben, indem sie Pāli-Buddhismus vorwiegend rationalistisch betrachteten, als von hoher Ethik und als eindrucksvolles Gedankensystem. Fast wie um dies zu bestätigen, haben die wenigen Vertreter des asiatischen Theravāda, die sich im Westen niederließen, Buddhismus bevorzugt und überwiegend in Lehrgrundsätzen und in Begriffen der Ethik dargestellt. Selten zeigen sie dabei das gleiche Maß spiritueller Vitalität wie die Meister des Mahāyāna und Vajrayāna. Da die westlichen Suchenden von heute nach einer Praxis suchen, die sie in ihr Leben einfügen können, und nicht bloß ein System der Ideen, das sie bewundern und diskutieren können, werden sie natürlich stärker als vom Theravāda von den alternativen Formen des Buddhismus angezogen - Zen, Vajrayāna und neue, westliche Schulen.

Damit soll aber nicht gesagt sein, dass im Westen eine im Theravāda wurzelnde Meditations-Tradition fehlt. Eine Anzahl Westler, die vor Jahren in asiatische Länder gingen, um unter qualifizierten Lehrern zu praktizieren, kehrten später in den Westen zurück, um zu lehren und buddhistische Zentren aufzubauen. Was wir aber als interessante Entwicklung finden, ist, dass westliche Lehrer der auf dem Theravāda basierenden Meditation sich selbst oft gar nicht als Anhänger des Theravāda-Buddhismus im doktrinären Sinne sehen. Statt dessen distanzieren sie sich – direkt oder indirekt - vom asiatischen Theravāda und nennen ihre Art des Buddhismus "die Vipassanā-Tradition" oder "die Praxis der achtsamen Bewußtheit". Sie haben zwar ein strenges Übungssystem entwickelt, heben aber die Vipassanā-Meditation oft aus ihrem Rahmen im buddhistischen Glauben und Lehre heraus und stellen sie fast als autonome Disziplin psychologischer Einsicht und Selbstbewusstheit dar. Dies ist sicherlich eine Schwachstelle in der westlichen Annäherung an den Dhamma, denn die religiösen und philosophischen Dimensionen des klassischen Buddhismus sind für die Einsichts-Meditation notwendig, damit sie zu ihrem wirklichen Ziel führt: Der ungetrübten Befreiung des Geistes. Die Nichtbeachtung der textlichen und doktrinären Seite des Buddhismus kann zu einem verwässerten, minderwertigen Dhamma-Verständnis führen. Aber der vereinfachte Praxisstil - nicht religiöse, nicht lehrgemäße, nicht monastische Einsichts-Meditation - ist die vorwiegende Art, in der Westler den Theravāda-Buddhismus aufnehmen. Diese Entwicklung könnte uns veranlassen, unsere eigene Tradition genauer zu untersuchen und zu fragen, warum der Dhamma in einer so unvollständigen Weise angegangen wird, derartig wählerisch, statt als organisches Ganzes angenommen zu werden.

6. Die Herausforderung, den Theravāda in den Westen zu bringen
Das bringt mich zum dritten Hauptabschnitt meiner Rede: den besonderen Herausforderungen, denen wir uns bei der Übermittlung des Theravāda-Buddhismus an den Westen stellen müssen. Wenn ich dies überlege, so stellt sich mir im Geist sofort die Frage: "Welche Art von Theravāda wollen wir denn eigentlich verbreiten?" Wie ich schon erwähnt habe, sind es nicht nur Texte und Ideen, die der Westen sucht, nicht bloß der Buddhismus der Bücher. Ganz sicher werden Bücher gebraucht um die Menschen mit Dhamma bekannt zu machen, um ihnen Material zum Studium und zum Nachdenken zu geben. Ich möchte damit nicht den Eindruck erwecken, dass Literatur über Buddhismus entbehrlich ist, sondern dass sie allein nicht genügt. Damit der Dhamma im Herzen der Menschen tiefe Wurzeln schlägt, kann er nicht zwischen den Deckeln eines Buches zu ihnen kommen, sondern muss in lebendigen, atmenden Menschen kommen, die die Wahrheit der Lehre durch ihr eigenes Vorleben zeigen.

6.1 Die ideale Form
Wenn ich also die Frage stelle, welche Art von Buddhismus wir verbreiten wollen, denke ich nicht an den rein kanonischen Dhamma, der als solcher nur in Büchern existiert. Buddhismus ist tatsächlich immer in konkreten Praktiken ausgedrückt worden, eingebettet in sozialen Strukturen und verkörpert durch reale menschliche Wesen. Wir müssen deshalb diesen Aspekt des Theravāda-Buddhismus betrachten und nicht nur die Lehrformeln des Pāli-Kanon. Wenn wir also überlegen, wie Buddhismus in den Westen zu bringen sei, müssen wir entscheiden, welches der vielen Gesichter des Theravāda wir zeigen wollen. In gewissem Maße ist das verfrüht, denn wenn der Buddhismus irgendwann im Westen Wurzeln schlagen wird, wird er eigene Formen annehmen, die den sozialen und kulturellen Voraussetzungen des Westens entsprechen. Für den Anfang brauchen wir aber etwas, das als Saat oder Kern dienen kann.

Die ideale Form Theravāda darzubieten wäre jene, die alle gesunden Aspekte der Tradition zu einem organischen Ganzen verschmilzt. Die Übermittlung müsste sich auf die Meditations-Praxis konzentrieren, sollte jedoch auch großen Wert legen auf buddhistische Ethik (einschließlich buddhistischen Perspektiven zu zeitgenössischen ethischen Fragen), auf Text- und Lehr-Studium, Praktiken der Hingabe und auch einen angemessenen Anteil an Ritualen. Ritual müsste aber in den spirituellen Pfad integriert sein und nicht bloß gemäss kulturellen Gebräuchen gepflegt werden. Die Meditations-Praxis sollte das Herz der Übermittlung sein. Wenn Praktizierende erst einmal die segensreichen Auswirkungen der Meditation auf ihr Leben erfahren haben, werden sie bald tieferes Interesse für das Studium der Texte entwickeln, für Praktiken der Hingabe, für die ethischen Regeln und Rituale. Die Rituale werden dann dazu dienen, die verschiedenen Aspekte des Dhamma zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verschweißen, von innen her belebt durch die meditative Erfahrung.

6.2 Eine monastische Übermittlung
Wir kommen nun zum Kern der Frage. In seiner orthodoxen Form hat der Theravāda-Buddhismus stets den monastischen Orden, den Sa‰gha, als den Träger des buddhistischen Erbes angesehen. Wenn der Theravāda im Westen Fuß fassen soll, so scheint es, dass dies durch monastische Übermittlung sein sollte, durch Laienunterstützung geschützt und gewahrt. Ohne diese würden wir vermutlich bei einer verwässerten oder weltlichen Version des Theravāda enden, wie wir sie heute in den Vipassanā-Sa‰ghas vorfinden. Eine monastische Übermittlung ist nötig, um die Entsagung und Enthaltsamkeit zu betonen und lebendig zu erhalten, die so charakteristisch für den wahren Sa‰gha sind.

Die Notwendigkeit einer monastischen Übermittlung stößt jedoch sofort auf ein praktisches Problem. Es ist heute in Sri Lanka nämlich äußerst schwierig Mönche zu finden, die die persönlichen, für einen buddhistischen "Botschafter des Dhamma" (Dhammadūta) nötigten Qualitäten besitzen, einschließlich der Fähigkeit, den Dhamma wirksam an Menschen eines sehr verschiedenen kulturellen Hintergrundes zu vermitteln. Das hat nachteilige Auswirkungen auf das ganze Projekt der Theravāda-Mission im Ausland und lähmt den Theravāda in der ansonsten lebhaften Szene des westlichen Buddhismus.

Ich habe das Gefühl, dass von allen asiatischen Theravāda-Gemeinschaften die Sri Lankaner das stärkste Potential haben, den Dhamma in den Westen zu bringen. Soweit ich es beobachten konnte, sind die thailändischen, kambodschanischen und burmesischen Mönche fast ausschließlich auf ihre eigenen Gemeinschaften eingestellt und stellen sich kaum jemals vor, dass der Dhamma überhaupt eine Anziehung auf Westler haben könnte. Es sind die Sri Lankaner, die am meisten von dem Ideal begeistert waren, den Dhamma an den Westen weiterzugeben. Und wiederum ist es der Sa‰gha in Sri Lanka, der über Mönche verfügt, die bereit sind westliche Sprachen zu lernen und die Lehren in eine für den Westen bedeutsame Botschaft zu übersetzen.

Wenn wir die westliche buddhistische Szene überschauen, ist das Ergebnis trotzdem enttäuschend. Wir sehen eine gewaltige Woge des Interesses an Zen und tibetischem Buddhismus, an neuen buddhistischen Bewegungen wie dem "Intersein-Orden" und den "Freunden des Westlichen Buddhistischen Ordens" und an Vipassanā als einer weltlichen Praxis. Aber abgesehen von Ajahn Sumedho's Amaravati Netzwerk, das aus westlichen Mönchen und Nonnen besteht, hat der orthodoxe Theravāda-Sa‰gha relativ wenig Auswirkung auf den Westen gehabt. Man könnte das natürlich einfach als Beweis dafür auslegen, dass die Westler zu dekadent sind, um den wahren Dhamma zu schätzen. Diese Deutung wäre aber nicht nur lieblos, sondern auch falsch. Beachtlich viele westliche Buddhisten fühlen sich nämlich stark zur Theravāda-Tradition hingezogen und sind auf der Suche nach Mönchen, die Belehrungen anbieten. Der Bedarf ist also vorhanden, aber die Ressourcen, ihn zu befriedigen, sind knapp.

6.3 Der Stand der monastischen Ausbildung
Obwohl ich keine einfache Lösung für dieses Problem habe, wäre es doch nützlich, eine erste Diagnose seiner Ursache zu erstellen. Ich glaube, ein Teil der Erklärung liegt in dem System der monastischen Ausbildung, das hier in Sri Lanka vorherrscht. Dieses System ist äußerst unzureichend und bedarf von Grund auf einer drastischen Revision: Einer Überarbeitung hinsichtlich des Ziels, der Breite und Tiefe der monastischen Schulung. Wenn in diesem System geschulte Mönche nach Übersee gehen, um den Dhamma darzulegen, stoßen sie auf schwere Hindernisse. Sie müssen nicht nur lernen sich einer Gesellschaft anzupassen, wo soziale Beziehungen nicht von klar definierten Rollen und Erwartungen bestimmt werden, sondern sie müssen auch wirklich auf die existenziellen Sorgen westlicher Schüler eingehen. Routine-Lehrgespräche und Zeremonien reichen da einfach nicht aus.

Um der Anforderung, den Theravāda-Buddhismus im Westen zu fördern, entsprechen zu können, ist der einzige Weg für den Sri Lankischen Sangha die exponentielle Verbesserung in der monastischen Ausbildung direkt hier in Sri Lanka. Wenn ein Mönch ins Ausland gehen soll um den Dhamma zu verbreiten, muss er nicht nur eine gründliche Kenntnis seiner eigenen Theravāda-Tradition besitzen, sondern auch mit anderen Themen vertraut sein. Er wird einige Kenntnis der Geschichte und der verschiedenen Schulen des Buddhismus benötigen, sowie vergleichende Religionslehre und Englisch. Er sollte auch die Sprache des Landes kennen, in dem er tätig sein wird, oder bereit sein, diese zu erlernen.

Über diese spezifischen Fachgebiete hinaus wird er intellektuelle Offenheit und mentale Schärfe benötigen, um die Neigungen, Haltungen und Weltansichten der Menschen einer unterschiedlichen Kultur zu erfassen, und um darauf sinnvoll Bezug nehmen zu können. Er muss über angemessene Grundkenntnisse in der wirklichen Dhamma-Praxis verfügen, denn Bücherwissen und Lehrinhalte, wie umfangreich auch immer, werden fruchtlos bleiben, wenn sie nicht mit Hingabe an die Praxis verbunden sind. Leider ist es nahezu unmöglich eine monastische Institution zu finden, die die erforderliche Schulung vermitteln kann, und die buddhistischen Würdenträger sind konservativ und widersetzen sich den vorgeschlagenen Reformen. In dieser Hinsicht schneiden buddhistische Ausbildungsstätten im Vergleich zu christlichen Seminaren schlecht ab, die ihre eigenen Missionare mit einer so gründlichen und weitreichenden Ausbildung versehen, dass sie häufig buddhistische Institutionen sogar auf dem Gebiet buddhistischer Studien übertreffen.

6.4 Die Wiederbelebung der Meditation
Das Problem ungenügender Ausbildung wird durch den Niedergang der praktischen Meditationsschulung im gesamten monastischen System Sri Lankas noch verschlimmert. Die Ausbildung der Mönche richtet sich nicht so sehr darauf, sie auf dem Pfad des Buddha zum Erwachen zu geleiten, als vielmehr sie zu lehren, wie sie als Hüter eines bestimmten sozialen und kulturellen Erbes zu dienen haben. Ich möchte den Wert dieses Dienstes nicht in Frage stellen, denn in diesem Land ist es durchaus notwendig die kulturellen und sozialen Säulen des Sri Lankischen Buddhismus zu bewahren und zwar besonders gegen das Eindringen missionarischen Christentums und materialistischen Konsumdenkens. Doch diese Funktion sollte hinter die wichtigere zurücktreten, nämlich die jungen Mönche den Pfad zu Weisheit und Frieden zu lehren; sie sollte also nicht so dominant werden, dass der ursprüngliche Pfad durch Nebel und Unkraut verdeckt wird.

Der Rückgang lebendiger Meditations-Tradition in den Bhikkhu-Schulungs-Zentren scheint von der scharfen Trennung herzurühren, die die Theravāda-Tradition zwischen den Dorf- und Waldmönchen macht. Nach dieser Unterscheidung widmen die Dorf- und Stadt-Mönche ihre Zeit der Darlegung der Lehre und dem Dienst an der Gemeinschaft, während die Wald-Mönche sich ausschließlich der Meditation widmen. Diese Unterscheidung schafft also eine Situation, in welcher ein Mönch, der nicht unbedingt schon im gegenwärtigen Leben den Pfad zum Nibbāna gewinnen will, die Meditations-Praxis auf eine künftige Existenz aufschiebt und sein Leben in der Mönchsrobe als einen Dienst an der Gemeinschaft rechtfertigt. Derartiges soziales Dienen nimmt jedoch eine weitgehend weltliche Färbung an und gleitet leicht in politischen Aktivismus ab. Nur selten ist es in einen echten Pfad spiritueller Entwicklung integriert.

Auf der anderen Seite ziehen sich die Mönche, die das Ziel in diesem Leben zu erreichen streben, zur ausschließlichen Meditation in den Wald zurück und sind nur selten bereit, ihre Einsichten mit der weiteren Gemeinschaft zu teilen. Durch diese Schulungsmethoden bedingt, fehlen ihnen außerdem im allgemeinen die nötigen sprachlichen und sozialen Fähigkeiten, um den Dhamma in fremden Ländern zu verbreiten. Wir haben also diese scharfe Zweiteilung: Geschulte Stadt-Mönche ohne tiefe persönliche Einsicht in den Dhamma oder Meditationserfahrung und Meditations-Mönche ohne viel Neigung, die Lehre zu verbreiten.

Es wäre unangemessen, Mönche, die sich der ganzzeitigen Meditation widmen, zu aktiverer Tätigkeit zu zwingen. Deshalb scheint das erforderliche Mittel zum Ausgleich dieses Ungleichgewichtes die Wiederbelebung der Meditations-Praxis in den Bhikkhu-Ausbildungs-Instituten zu sein. Das kann jedoch nicht erreicht werden, indem man einfach von außen her den Mönchen als obligatorische Disziplin "Meditation" auferlegt. Meditations-Praxis geschieht nicht in einem Vakuum. Sie muss einem inneren Bedürfnis entspringen, angetrieben durch ein klares Verstehen der Grundlagen und Ziele buddhistischer Spiritualität. Was also wirklich benötigt wird, ist eine Neubelebung der spirituellen Herausforderung im Herzen buddhistischen, monastischen Lebens.

6.5 Die Ausbildung von Dhammadūtas
Ich persönlich halte es nicht für klug, wenn wir versuchen Institutionen ausdrücklich zu dem Zweck zu schaffen, Mönche als "buddhistische Missionare" oder "Dhammadūtas" auszubilden. Derartige Institutionen könnten leicht Mönche anziehen, die aus falschen Gründen ins Ausland wollen: um Prestige zu gewinnen, um bekannt zu werden, vielleicht um Arbeit zu finden und die Mönchsrobe abzulegen. Ich glaube, es ist klüger entsprechende Programme an den vorhandenen Bhikkhu-Schulungszentren zu verstärken. Zugleich sollten wir die Augen nach fähigen Bhikkhus offen halten, die an diesen Programmen teilnehmen, und die die Qualitäten zur Verbreitung des Dhamma im Westen haben. Wir müssen aber auch daran denken, dass es bei der Ausbildung der Mönche nicht das Ziel ist, sie zu Dhammadūtas zu machen, sondern sie auf dem Pfad der Erleuchtung zu führen. Die Schulung sollte daher auf die innere Entwicklung des Mönches ausgerichtet sein, sowohl bezüglich der Qualitäten, die zum Persönlichkeits-Wachstum beitragen, als auch jener, die ein mitfühlendes Ausströmen seiner spirituellen Entwicklung auf andere zulassen. Mönche die über diese speziellen Eigenschaften verfügen und gewillt sind für die Verbreitung des Dhamma zu arbeiten, können für überseeische Aufgaben gewählt werden, vorausgesetzt, sie zeigen auch die für eine solche Tätigkeit erforderliche innere Reife.

6.6 Ein vorläufiger Abschluss
Ich komme jetzt zu einem vorläufigen Abschluss. Der Buddhismus im Westen nimmt beim gegenwärtigen Stand seiner Entwicklung eine Form an, die sich auf den Dhamma als einen Weg der inneren Wandlung durch Meditation und Kontemplation fokussiert, wobei andere Aspekte buddhistischer Praxis diesem Anliegen untergeordnet werden. Wir sollten daraus aber nicht gleich schließen, dass westlicher Buddhismus daher das ideale Modell zur Nachahmung für Asiaten sei. Westlichen Buddhisten fehlt häufig die gründliche Kenntnis der Texte und sie neigen daher dazu, die Lehren so zu verbiegen, dass sie zu ihren eigenen Plänen und Erwartungen passen. Ich denke, dass asiatische Mönche mit gründlicher, wissenschaftlicher Kenntnis des Dhamma hier einen wertvollen Beitrag leisten können. Obwohl aber im westlichen Buddhismus korrigierende Maßnahmen benötigt werden, um das rechte Verständnis sicher zu stellen, ist klar, dass das zentrale Interesse westlicher Buddhisten auf persönliche meditative Erfahrung gerichtet sein wird, als dem Weg zu innerem Frieden und Weisheit.

Wenn die Buddhisten Sri Lankas einen bedeutenden Beitrag zum gesunden Wachstum des Buddhismus in der Welt leisten sollen, so werden wir Vertreter des Dhamma benötigen, die auch eine lebendige Verkörperung des Dhamma darstellen. Das heißt, wir brauchen Mönche - und auch genauso Nonnen - die in ihrem Leben und Charakter das Potential des Dhamma zum Ausdruck bringen, als einer Lebensweise, die wahre Weisheit, Reinheit und inneren Frieden bringt und überströmt in Formen der Güte und des Mitgefühls mit anderen. Das ist eine schwere Herausforderung, aber es ist eine unverzichtbare Erfordernis, wenn Sri Lanka zur Entwicklung des Buddhismus im Westen beitragen soll. Da die Hauptverantwortung für die Übermittlung des Dhamma bei dem monastischen Orden liegt, muss der Sa‰gha in diesem Lande sein eigenes Haus in Ordnung bringen, wenn er für die Durchführung dieser Aufgabe qualifiziert sein soll. Das wird einige intensive, interne Kritik erforderlich machen und Versuche zu aufrichtigen Reformen, ganz besonders im monastischen Schulungssystem. Finden solche Veränderungen nicht statt, so ist es nicht wahrscheinlich, dass Sri Lanka recht viel mehr zum Wachstum des Buddhismus in Europa beitragen kann, als Vihāras zu betreiben, die ausgewanderten Sri Lankanern dienen.

Ich möchte mit einer freundlichen Bemerkung schließen. Trotz des Mangels an qualifizierten Dhammadūta-Mönchen gibt es im Westen verstreut einige wenige Theravāda-Viharas und buddhistische Zentren, betrieben von Mönchen, die in ihrer stillen, unaufdringlichen Art daran arbeiten, den Dhamma zu verbreiten. Herausragend unter ihnen sind Mönche aus Sri Lanka, die diese Tätigkeit oft mit viel Entbehrung und Selbstaufopferung auf sich nehmen. Die Härte, der sie begegnen, ist nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Inmitten der Versuchungen westlicher Konsumkultur müssen sie eine empfindliche Disziplin bewahren, und haben auch gegen das Gewicht buddhistischer Tradition anzukämpfen, um verborgen hinter lähmenden Konventionen die klare Botschaft des Buddha zu finden. Solche Mönche haben in der Regel keine großen Organisationen hinter sich und keine finanzielle Rückendeckung von zuhause. Aber durch ihre Hingabe an den Dhamma und ihre mitfühlende Sorge für andere, versuchen sie westlichen Menschen aktiv dabei zu helfen, ihren Weg zu Buddhas Pfad zu finden. Ihre selbstlose Arbeit verdient Anerkennung und Unterstützung durch alle aufrichtigen Buddhisten in diesem Lande.


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Anmerkung:
Vortrag anlässlich eines Seminars, das am ersten Todestage des Ehrw. Mitirigala Dhammanisanthi am 2. Juli 2000 in Colombo abgehalten wurde.

An der Übersetzung aus dem Englischen haben mitgewirkt: Kurt Jungbehrens, Agganyani, Ursula Gürtner und Munish Schiekel