1. Die Einsichtspraxis in Burma - und ein Bericht über meine praktischen Erfahrungen -
2. Burma - das Vipassanā-Land
3. Mogoks Weg der Einsicht
4. Mogoks Weg in die Praxis


Samaneri Agganyani. Die Einsichtspraxis in Burma

Herausgeber
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1. Die Einsichtspraxis in Burma - und ein Bericht über meine praktischen Erfahrungen -
"Namo tassa Bhagavato Arahato Sammāsambuddhassa...!" Siebenhundertfach inbrünstig im Chor ausgerufen - eine Energie, der auch ich mich nicht entziehen kann und will. Siebenhundert mit geschlossenen Augen in Andacht versunkene Mönche, Nonnen und Yogis (burmesische Bezeichnung für meditierende Laien), die Hände zusammengelegt vor dem Herzen oder an der Stirn - und ich in vorderster Front mittendrin. Eine überfüllte Meditationshalle, jedes Fleckchen Boden genützt und eingeteilt, jeweils nur mit einer kleinen Bastmatte belegt, auf der - ohne bequemes Meditationskissen - die Meditierenden Platz genommen haben. Feuchtheiße, tropische Schwüle. Lärmendes Vogelgezwitscher und - gestreite: die Vögel nisten selbst in der Meditationshalle und über dem "Altar". Keiner nimmt Notiz davon, auch nicht von dem Vogelkot, den Gräsern und den Federchen, die mancherorts in der Halle regelmäßig fallen. Genauso wenig wie man sich um die Stechmücken, Kakerlaken und sonstiges Getier kümmert.

Kein Wunder: wir sind in Myanmar (Burma), DEM Land der lebendigen Buddha-Lehre. Liebende Güte, Geduld und Gleichmut werden gelebt. Und als eifrig meditierender Buddha-Nachfolger macht man ja doch über kurz oder lang die Erfahrung, die ich ausdrücken will mit dem Palisatz: "Saṃsāro vaṭṭa dukkhato". Die Runde des Saṃsāra ist leidvoll. Der Daseinskreislauf ist letztlich unbefriedigend. Wiedergeburt - egal, wie, wo und als welches Wesen - ist Leiden, nichts anderes als Leiden und nicht das, was wir anstreben. Unser Ziel ist jenseits des Saṃsāra, da wo Leiden nicht mehr existiert, ein Zustand, eine Realität, die es hinter allem zu erkennen, zu erfahren gilt, die letztlich gelebt werden kann - wenn wir nur irreversibel Gier, Hass und Verblendung ausgerottet haben... Und das - so ist der Vipassanā-Ansatz - kann durch das Sehen und Erkennen der drei Daseinsmerkmale geschehen. Wenn wir alle weltlichen Dinge und Erscheinungen, alle bedingten Phänomene, als anicca (vergänglich, nicht von Dauer), als dukkha (leidvoll oder inhärent Leiden in sich bergend, unbefriedigend) und als anattā (Nicht-Ich, ohne Selbst oder Seele) sehen und erfahren, dann endlich werden wir loslassen können vom Begehren, ständigen Haben- und Sein-Wollen, sowie von Aversion, vom ständigen Ablehnen und Anders-haben-Wollen, wir werden die Dinge, die Erscheinungen, die Wesen und die Welt so sehen und akzeptieren können, wie sie wirklich sind: nämlich "seelenlose" Prozesse geistig-psychischer und materieller-physischer Art, die ihrer eigenen Naturgesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung folgen. Und trotzdem: da ist der Mensch...

Alle Siebenhundert sind in sich gekehrt, jeder für sich, die ganze Menschenmenge. Und mittendrin eine exotische, einzige Westlerin. Obwohl vom Typ her absolut kein Massenmensch, fühle ich mich bei der gemeinsamen Rezitationssprache Pāli und beim gemeinsamen Schweigen und Üben aufgehoben und "zuhause".

Myanmar ist mir zur spirituellen Heimat geworden - ob wie hier "mein" Kloster und Meditationszentrum Aung San Tawya in einem Vorort der Hauptstadt Yangon - ob die "heiligen" Sagaing Hills mit den tausend Klöstern, Einsiedeleien, Höhlen und unzähligen Pagoden auf den bewaldeten Hügeln - ob die Shan-Berge mit ihrer weltfernen Stille, erfrischenden Kühle und glasklaren Luft... Nein, auch dies sind noch keine Stätten der endgültigen, letztendlichen Zuflucht aus dem Saṃsāra. Aber doch möchte ich sie als Stätten der Zuflucht auf halbem Weg zwischen der saṃsārischen Welt und dem endgültigen Nibbāna bezeichnen. Genauso wie der Buddha anrät, uns mit edlen Freunden zu umgeben, so empfiehlt er uns, geeignete Stätten zur Meditation und Kontemplation aufzusuchen: in der Abgeschiedenheit des Waldes, am Fuße eine Baumes, in lieblicher Natur, in Höhlen... Beides ist in Burma zu finden und erweist sich als sehr förderlich für die eigene Einsichtspraxis.

2. Burma - das Vipassanā-Land
Prinzipiell werden im Theravāda zwei Arten der Meditation unterschieden: die Samatha-, Konzentrations- oder Ruhe-Meditation und die Vipassanā-, Einsichts-, Klarblicks- oder Erkenntnis-Meditation. Burma ist zum Inbegriff für die Vipassanā-Meditation geworden. Aber es gibt nicht "DIE" Vipassanā-Methode - es gibt viele Methoden, die zur Vipassanā, zum Klarblick, zur Einsicht und Erkenntnis führen. Im Vipassanā-Land Burma alleine gab es im letzten Jahrhundert 16 Schulen, nur zwei davon sind ausreichend im Westen bekannt geworden: die Mahāsi-Tradition und die Schule von U Ba Khin und dessen weltbekanntem Schüler S.N. Goenka. Deren Haupt-Meditationszentren in Yangon und Umgebung sind mittlerweile auch recht gut auf Westler eingerichtet. Ständig stehen Englisch-sprechende Lehrer oder zumindest Übersetzer zur Verfügung, die Bedingungen für Unterkunft, Essen und Hygiene werden versucht, an westliche Standards anzupassen.

U Ba Khin und Goenka mit ihrem Laien-Buddhismus und ihrer Methode des "Sweeping" (Fegens) sind zwar im ganzen Land ein Begriff, aber richtig bekannt und zu einer Massenbewegung wurden sie erst außerhalb Burmas, in Indien und insbesondere im Westen. In Burma selbst gibt es wohl zu viel "Konkurrenz". Dazu gehört die Mahāsi-Tradition, die nach der Unabhängigkeit des Landes auch noch große staatliche Förderung erhielt, mit größeren und kleineren Zentren im ganzen Land. Aber auch deren "Ableger", gegründet von Mahāsi Sayadaws Hauptschülern, den Sayadaws U Paṇdita (Panditarāma-Zentren), U Janaka (Chanmyay-Zentren), U Lakkhaṇa (Kyaswa), U Kuṇdala (Saddhammaraṇsi Zentrum) und U Kosalla (Shwe Oo Minh Zentren), florieren - inzwischen mehr als das ursprüngliche Hauptzentrum, das Mahāsi Sāsana Yeiktha, und erfreuen sich zunehmend westlicher Beliebtheit.

Nur wenige Ausländer lernen die anderen burmesischen Vipassanā-Traditionen kennen und praktizieren danach. Schade - denn da gibt es wirklich noch Schätze zu entdecken! Da ist die in Burma sehr populär gewordene Mogok-Tradition mit über 300 Klöstern und gut organisierten Meditationszentren im Land - auch das eingangs beschriebene Zentrum bei Yangon gehört dazu. Da gibt es die aufstrebenden Pa Auk-Zentren mit ihrem sehr systematischen, traditionellen Samatha-Vipassanā-Ansatz, mittlerweile ein Begriff auch in den traditionellen Mahāyāna-Ländern und allmählich im Westen. Dann weitere reine Vipassanā-Schulen wie die Taungpulu-Tradition sowie die Zentren nach Ledi, Webu, Sunlun und Theingyu Sayadaw bis hin zu fast schon tibetisch anmutenden und schamanistisch beeinflussten Praktiken von Vipassanā-Lehrern im nördlichen Burma.

Ich habe nicht alle Ansätze und Techniken selbst praktizieren können, habe manche Zentren nur besucht und mit Lehrern oder Praktizierenden gesprochen. Einige der Methoden und Wege habe ich selber genau lernen und intensiv praktizieren können, wie die Mahāsi-Methode u.a. bei Sayadaw U Lakkhaṇa im Kyaswa-Kloster in Sagaing, den Vipassanā-Ansatz von Sayadaw U Paññādīpa vom Weltmeditationszentrum in Yangon, die Taungpulu-Praxis mit U Tayzania und bei Pokkoku Sayadaw im Waldkloster Kyauksin Tawya bei Meiktila und die Mogok-Tradition ausgiebig im Meditationszentrum und Kloster Tawya Tat Oo Kyaung Taik, Aung San Myo, bei Yangon, kurz im Yangoner Hauptzentrum und bei Mon-le Sayadaw in einem Waldzentrum bei Bago.

Tief kennen gelernt und heute verwurzelt bin ich in der Mogok-Tradition, deshalb und weil dieser Weg im Westen so unbekannt ist, möchte ich darüber mehr berichten.

3. Mogoks Weg der Einsicht
U Vimala, der spätere Mogok-Sayadaw, lebte von 1900 bis 1962 im oberen Burma, in Amarapura, Mandalay und Mogok. Sein Werdegang und seine Laufbahn als Novize, Mönch, Abhidhamma-Lehrer und später aus Mitgefühl Meditationslehrer waren geradlinig und zielgerichtet, effektiv und erfolgreich. Er starb als anerkannter Arahat - seine bei der Verbrennung des Leichnams gebildeten Reliquien werden in großen Ehren gehalten. In Amarapura, bald in ganz Burma war er einer der angesehensten Abhidhamma-Kenner und -Lehrer insbesondere des Yamaka und des Paṭṭhāna (6. und 7. Abhidhamma-Buch: Buch der Paare und Buch der Bedingungen), hoch respektiert vor allem in monastischen Kreisen. Bei den Laien der zunehmend größeren Anhängerschaft war der bescheidene Mönch wegen seiner tiefgründigen, lebendigen Lehrweise und der effektiven, von ihm entwickelten, vereinfachten Meditationstechnik von Cittānupassanā (Kontemplation auf das Bewusstsein, die Geisteszustände) sehr beliebt. Von Mogok Sayadaws Vorträgen, Belehrungen und Erklärungen ist viel überliefert und erhalten - viele Audiokassetten und viele Schriften. Allerdings alles nur burmesisch. Erst in jüngerer Zeit haben einige wenige seiner Anhänger Texte ins Englische übersetzt und beginnen, gelegentlich für ausländische Besucher zu lehren und Meditationsanleitungen zu geben. Außerhalb von Burma ist die Mogok-Tradition deshalb so gut wie unbekannt. Schade...

Ich hatte die Mogok-Tradition während meines Studienjahres in Yangon entdeckt. Bei unseren Pariyatti-Studienfächern faszinierte mich insbesondere der Abhidhamma. Als eine koreanische Mitschülerin mir ein Büchlein über die Meditationsmethoden verschiedener burmesischer Meister lieh, erkannte ich bei Mogok sofort die praktische Anwendung der im Abhidhamma gelernten Bewusstseinsarten (citta) und Geistesfaktoren (cetasika) und fühlte mich angezogen. Auf der Suche nach dieser Tradition, nach einem Zentrum und Lehrer, besuchte ich zuerst das Hauptzentrum am Royal Lake in Yangon und stieß schließlich auf das Kloster und Mogok Vipassana Meditationszentrum Tawya Tat Oo Kyaung Taik, nach seinem Standort in Aung San Myo auch Aung San Tawya genannt.
Dort blieb ich hängen, dort stimmte erstmals alles für mich. Der Abt und Lehrer wurde mein Lehrer, die gelehrte Meditationsmethode wurde meine Methode, das Kloster, der Sangha wurde zu meinem...

In der Mogok-Tradition wird viel Wert auf das Studium und Verständnis des Dhamma gelegt - was meinem Naturell und Wissensdrang entgegenkommt. Mogok Sayadaw sagte, wenn man ohne tieferes Verständnis, ohne Aufhebung der gröbsten falschen Ansichten (diṭṭhi) meditiere, wäre das keine richtige Vipassanā-Meditation, sondern nur eine oberflächliche "Light-" Variante, die nicht zu Nibbāna führen könne. Deshalb wird in den Mogok-Zentren auch viel Theorie gelehrt. Hauptschwerpunkt dabei ist traditionell der Paiccasamuppāda, die Lehre von der bedingten Entstehung. Mittels des Paṭiccasamuppāda kann man die drei grundlegenden Formen des Irrglaubens bzw. falsche Ansichten überwinden, sakkāya-diṭṭhi, die falsche Ansicht über ein beständiges Ich, Selbst, Seele oder Persönlichkeit, sassata-ditthi, den Ewigkeitsglauben, und uccheda-diṭṭhi, den Vernichtungsglauben oder Nihilismus. Wie, das ist bereits in den feierlichen Aussprüchen des Buddha, im Udāna, überliefert:

"Wenn in einem eifrig meditierenden [Brahmanen], die dhammas aufsteigen (die Wirklichkeiten sichtbar werden), wird er von seinen Zweifeln frei, weil er die Phänomene und ihre Ursachen kennt."

Durch das Erkennen des bedingtes Entstehens, der Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung, dass kein Ding, kein Wesen, kein Phänomen ohne Grund, ohne Ursache besteht bzw. in Erscheinung tritt, und dass alles, jedes Phänomen, jede Handlung wieder eine Auswirkung haben wird und muss, wird der Meditierende von seinen Zweifeln frei und von seinen falschen Ansichten, dass z.B. Handlungen ohne Folgen bleiben würden, oder dass der status quo willkürlich sei. Er beginnt die Wirklichkeit zu verstehen, so wie sie ist und warum sie so ist. Alles sind nur Prozesse, kurzlebige Phänomene blitzen auf und verlöschen. Nichts geht weiter, da ist kein Wesenskern, kein Seelchen, kein Ich, das da von einem Glied zum anderen oder von einer Existenz zur anderen wandert. (Diese Einsicht löst den Ewigkeitsglauben auf.) Obwohl ein Phänomen total verlischt, vergeht, geht doch ein von ihm gesetzter Impuls weiter: es war Ursache für eine neue Wirkung, d.h. ein neues, wieder kurzlebiges Phänomen entsteht dadurch. Dieses bedingte Entstehen in Abhängigkeit lehrt uns, dass trotz dem Verlöschen der Phänomene Impulse, (karmische) Kräfte weiterwirken (diese Einsicht löst den Vernichtungsglauben auf).

"Wenn in einem eifrig meditierenden [Brahmanen], die dhammas aufsteigen, wird er von seinen Zweifeln frei, weil er die Aufhebung der Ursachen kennt."

Durch die Umdrehung des Paṭiccasamuppāda aber erkennt der Meditierende, wie Phänomene aufzulösen sind, in dem man nämlich bei den Ursachen ansetzt. Durch Arbeit an und Auflösen der Ursachen wird man die Auswirkungen beenden. Beendet man die Ursachen für Leiden, die ja im Paṭiccasamuppāda gelehrt und erklärt werden, so wird Leiden erlöschen. Und dies eben ist der Weg zur Befreiung und restlosen, unumkehrbarem Überwindung von dukkha, zu Nibbāna!

Durch vollkommene Einsicht in Leiden, in die Ursachen und die Auflösbarkeit des Leidens, wird man und kann man gar nicht mehr zögern, diesen Weg zu gehen – erfolgreich wird man ihn zu Ende gehen. Es heißt weiter:

"Wenn in einem eifrig meditierenden [Brahmanen], die dhammas aufsteigen, besiegt er Māras Armeen und steht am Himmel wie die strahlende Sonne."

Er besiegt Māras Armeen - d.h. also: er vernichtet seine Geistesgifte, Triebe (āsavas), und befreit sich von all seinen Befleckungen (kilesas), Negativitäten und Leidenschaften. Und dies ist das Kennzeichen eines Arahats, eines Befreiten! Und deshalb heißt es weiter: „er steht am Himmel, wie die strahlende Sonne“. Gemeint ist der Erleuchtete, Befreite, Erwachte. Er ist vergleichbar mit der Sonne: leuchtend, strahlend, unerschütterlich, unterschiedslos auf alle Wesen scheinend, rein, makellos, warm und vollkommen in Mettā(liebender Güte) und Karunā (Mitgefühl), total still und ruhig, Frieden, Licht und Leuchte in einer Welt der dunklen Unwissenheit, der Vernebelung des Geistes, der Schatten und Wolken.

Wie aber kommt man auf Mogok’s Vipassanā-Weg jetzt ganz praktisch an dieses Ziel?

4. Mogoks Weg in der Praxis
Während der Meditationskurse wird um 4 Uhr morgens aufgestanden und als erstes hört man Praxisanweisungen oder einen motivierenden Dhammavortrag des verstorbenen Mogok-Sayadaws vom Band und über Lautsprecher. Abends um 20 Uhr ebenso. Der Tag ist im Wesentlichen abwechselnd in Sitz- und Gehmeditation eingeteilt, üblicherweise jeweils eine volle Stunde. Um 6 Uhr schweigendes Frühstück, um 11 Uhr Mittagessen in Achtsamkeit und mit Praxiserklärungen und Ermahnungen des Lehrers. Vormittags im Allgemeinen die Zufluchtnahme und eine Erneuerung bzw. Erinnerung an die acht ethischen Regeln (alle Yogis nehmen für die Dauer des Kurses die acht s…la). Zweimal täglich lebendige, dialog-orientierte, fesselnde, oft humorvolle Belehrungen zum Paṭiccasamuppāda und dessen praktischer Anwendung - dem "Khandhā-Paiccasamuppāda", wie ihn Mogok Sayadaw nennt. Die Arbeit im Bereich der Gesetzmäßigkeit der bedingten Entstehung der Existenzgruppen (khandhas) wird als "short cut" für die Einsicht des Yogi bezeichnet, weil der gegenwärtige Aspekt des Kreislaufs gelebt, erkannt und durchschaut wird.

Begonnen wird die Sitzmeditation in der Mogok-Tradition mit Ānāpānasati, wie in den meisten Schulen: Beobachtung der Ein- und Ausatmung an der Nasenspitze. Ist ausreichende Konzentration entwickelt - bei einem erfahrenen Yogi nach etwa 20 Minuten - wird die Nasenspitze verlassen und die Aufmerksamkeit im Herzen (hadaya) verankert, das als Sitz oder Zentrum des beobachtenden Bewusstseins und des Denkens angesehen wird. Jetzt wechselt man vom anfänglichen Samatha zu Vipassanā, das heißt man beobachtet alle Phänomene und ist sich ihrer Vergänglichkeit (anicca), ihrer Leidhaftigkeit (dukkha) und ihrer Nicht-Selbst-Natur (anattā) bewusst. Echte Vipassanā ist es allerdings erst, wenn man wirklich die dhammas, die letztendlichen Wirklichkeiten (paramattha) sieht und beobachtet, nicht wenn man Konzepte - paññatti - beobachtet wie z.B. die Atmung, Gegenstände, Menschen und geistige Bilder (auch kasiṇas und nimittas!)... Als sogenanntes primäres Meditationsobjekt wird jetzt auf Mogoks Weg der Geist (citta) mit einzelnen, wichtigen Geistesfaktoren (cetasikas) genommen. Man übt Cittanupassanā, das Beobachten des Bewusstseins. Prinzipiell ist die Methode ja vom Buddha selbst im Satipaṭṭhāna-Sutta beschrieben, ebenso wie im kanonischen Paisambhidāmagga (dem Vorläufer des Vimutti- und Buddhaghosas späteren Visuddhi-magga) - noch detaillierter im Abhidhamma mit seinen 89 bzw. 121 Arten von Bewusstsein und dessen Kommentaren... Um den Yogi nicht zu sehr zu verwirren und zuviel Vorkenntnisse zu fordern, entwickelte Mogok Sayadaw eine Klassifikation von nur 13 Arten von Bewusstsein, die beobachtet werden sollen. Der Vipassanā-Yogi beginnt jetzt mit dem Beobachten und Analysieren. Aber nicht das Klassifizieren ist wichtig und führt zu den tiefsten Einsichten (genauso wie bei Mahāsi auch das Benennen an sich nicht), sondern das Erleben des Entstehens und Vergehens, das Erkennen der Bedingtheit und Ursache-Wirkungs-Gesetzmäßigkeit. Ganz gemäß dem - nach Mogok Sayadaw - Schlüsselsatz im Satipaṭṭhāna-Sutta: "Samudaya vaya dhammānupassī vācittasmiṃ viharati" ("cittasmiṃ" im Cittānupassanā-Kapitel. In der anderen Kapiteln zu ersetzen durch: kāyasmiṃ, vedanāsu bzw. dhammesu) - er weilt kontemplierend bei den Entstehungs- und Auflösungsbedingungen des Bewusstseins.

Während beim Sitzen das Hauptaugenmerk auf den Geist gelegt wird, praktiziert man in der Gehmeditation auch auf Mogoks Weg primär Kāyanupassanā - Achtsamkeit auf den Körper bzw. physische, physikalische Phänomene. Man achtet auf die Bewegung der Füße, erlebt die verschiedenen Phasen der Bewegung und der Bodenberührung. Anfangs wird empfohlen, flotter, d.h. fast natürlich zu gehen, und sich nur jeweils eines ganzen Schrittes bewusst zu sein. Am Ende der Gehstrecke (in der Halle oder irgendwo im Freien) bleibt man eine Weile stehen, betrachtet den aufrechten, stehenden Körper und spürt den Bodenkontakt. Dann langsam und bewusst umdrehen, evtl. kurz stehen, dann wieder gehen, beginnend immer mit einer bewussten, langsamen Gewichtsverlagerung auf den rechten Fuß, so dass der linke frei wird, sich heben und vorwärts bewegen kann. Später, oder wenn man genügende Konzentration hat, wird ein Schritt in drei, eventuell auch mehr Teile zergliedert, auf die man achten soll. Man kann benennen (wie bei Mahāsi), z.B. "heben - tragen - setzen" oder sich wirklich nur der Teil-Prozesse bewusst sein. Mit Klarheit, Wachheit und Achtsamkeit beobachten, um Weisheit zu erlangen.

Ich habe es selbst plötzlich erlebt, und das scheint eine normale Entwicklung zu sein: Irgendwann, plötzlich, verschwindet die Vorstellung des Fußes... das Benennen... es gibt nur mehr das Erlebnis und das Erkennen der vier großen Elemente (mahābhūtas) in jedem Schritt, in jeder Phase eines Schrittes, im Stehen - immerzu... Und da ist nichts von Konstanz und Dauer - nur schnelllebige Prozesse. Nichts von Ich oder "mein". Und Leiden platzt dann in einem rechten Moment wie eine Seifenblase. Was bleibt und erfahrbar wird ist grenzenloser Gleichmut und Stille, totale Stille, nibbānische Stille... Und das alles inmitten jeden Trubels, jeder Menschenmenge. Stille inmitten der siebenhundert rezitierenden Yogis: "Addha imāya dhammānu dhammapaipattiyā jātijarā vyādhi maraṇaṃ mhā parimuccissāmi!" (Mit Sicherheit werde ich durch diese wahre Praxis des Dhamma befreit von den Leiden Geburt, Alter, Krankheit und Tod.) Kein Funke eines Zweifels bleibt - nur Vertrauen in die Einsichtspraxis und diese Stille. –