1. Die zeitlosen Botschaften des Buddha
2. Die jederzeit wahrheitsgemäße Lehre [svakkhata dhamma]
3. Die durch eigene Erfahrung sichtbare Lehre [sanditthika]
4. Die durch Anwendung sichtbare Befreiungslehre [ehi passika]
5. Die an keinen Zeit gebundene jederzeit wirksame Lehre [akalika]
6. Die zum Befreiungsziel führende Lehre [opanayika]
7. Die an keinen Zeit gebundene jederzeit wirksame Lehre [akalika]
8. Buddhismus im Westen

Raimar Koloska. Die zeitlosen Botschaften des Buddha

Herausgeber
Theravadanetzwerk der DBU
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© D.B.U. 2005

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1. Zwischen Essenz und Kultur (Einleitung)
Wir alle Buddhisten im Westen sind gegenwärtig in einem wichtigen Prozess engagiert, der helfen wird, die Richtung zu bestimmen, die der Buddhismus in seiner künftigen Entwicklung nehmen wird. Mit dem zunehmenden Interesse am Buddhismus erwächst dabei den engagierten Buddhisten die verantwortungsvolle Aufgabe dafür sorgen, dass dieser nicht zur vorübergehenden Mode- Erscheinung wird, die morgen schon wieder verschwunden ist. Gerade in der kurzen Zeit der Einführung des Buddhismus hier im Westen gilt es zu unterscheiden zwischen wichtigen zeitlosen Aussagen der Lehre des Buddha (dharma) und den äußeren Formen und Interpretationen, die der Buddhismus im Laufe seiner historischen Entwicklung, in verschiedenen Schulrichtungen und Kulturen angenommen hat. Mit der bewussten Unterscheidung von Kernaussagen und äußerer Form des Buddhismus vermeiden wir Spaltung in Richtungen und haben immer die einheitliche zeitlose Botschaft der Wirklichkeits- und Befreiungslehre vor Augen. Doch was ist Kern- und Wirklichkeitslehre und was nicht? Nach Buddha selbst ist die Lehre (dharma) universell und wirklichkeitsgetreu, jederzeit sichtbar, jederzeit verfügbar, zeitlos wirksam und von Weisen aus eigener Erfahrung und Kraft nachvollziehbar beschrieben.

2. Die jederzeit wahrheitsgemäße Lehre [svakkhata dhamma] Grundlage der Buddhalehre ist eine realistische Anerkennung zeitlos gültiger Wirklichkeitsgesetze über das Leiden und die Leidensbefreiung. Auch wenn sich die äußeren Bedingungen der Menschheit in der Geschichte wie z. B. durch technischen Fortschritt stark gewandelt haben, die wichtigen existenziellen Probleme und deren Lösung sind jederzeit die gleichen geblieben. Sie sind unverändert Teil unserer Daseinswirklichkeit, so dass die buddhistische Kernlehre Ursache- und Wirkungsbeziehungen über die Ursachen des Leidens und deren Bewältigung als Gesetzmäßigkeiten unseres Geistes jederzeit gültig und wirklichkeitsgetreu beschreibt. Die buddhistische Kernlehre angewandt auf die heutige Zeit zeigt uns, dass wir auch heute noch an den negativen Faktoren des Geistes mit Ängsten, Ärger, Hass, Gier leiden und durch die Konfrontation mit Alter, Krankheit, Tod erschüttert werden. Genauso wie die Ursache des Leidens besteht jederzeit der Weg zur Befreiung von Leiden. Die Befreiung liegt nach wie vor in der Entwicklung unserer positiv heilsamen Geisteskräfte wie Weisheit, Achtsamkeit, Gleichmut, Vertrauen und Energie durch die Praxis des Weges von ethischer Praxis, Sammlung und Erkenntnis.
Abgeleitet aus der Erkenntnis der unveränderlichen Grundwahrheiten ergibt sich auch die gleichberechtigte Einheit der verschiedenen authentischen Schulen des Buddhismus. Die Vorstellung einer Evolution der Schulen in der Geschichte, von einem kleinen Fahrzeug (Hinayana) hin zu den Schulen eines größeren oder höheren Fahrzeugs (Mahayana) kann man dann getrost als Einfall zeitgenössischer Interpreten betrachten, nicht zur Kernlehre zugehörig. Wenn man diese Interpretation auf die Kernlehre ausweitet, ergibt sich die kuriose Geschichtsinterpretation, dass grundlegenden Wahrheiten zur Zeit des Buddha selbst ungenügend waren oder weiterentwickelt werden mussten. Wie können sich aber zeitlose Wahrheiten des dharma weiterentwickeln? Eine Wahrheit wie z. B. „2+2=4“ lässt sich z. B. nicht trefflich zu einer höheren Wahrheit „2+2=5“ weiterentwickeln.

3. Die durch eigene Erfahrung sichtbare Lehre [sanditthika]
Was bedeutet diese Bezugnahme der Lehre auf unser eigenes Sehen bzw. Erfahrung als Erkenntnisquelle? Buddha macht damit deutlich, dass nicht der Glaube an die Lehre, Lehrauslegung oder Verstandesspekulationen die primäre Erkenntnisquelle der Wahrheit sein können, sondern nur die eigene Erfahrung der Wirklichkeit. Es geht um das Schauen der jederzeit verfügbaren heilsamen und unheilsamen Bedingungen durch Weisheit in Meditation und Alltagspraxis. Das sind die Voraussetzungen, um aus eigener Kraft die Befreiung zu erreichen. Es geht also nicht um die Offenbarung der Wahrheit durch einen Gott oder Propheten, der Forderung nach Glauben oder der reinen Textanalyse und Textinterpretation als Dreh- und Angelpunkt der Wahrheitssuche.
Sogar der reine Glaube an den Buddha kann keine Befreiung liefern. Jeder Mensch selbst kann sich nur durch eigene Erfahrung der Natur des Geistes befreien. Die Lehre des Buddha dient uns damit als praktischer Wegweiser - die Quelle der Erkenntnis liegt in unserer eigenen Erfahrung.

4. Die durch Anwendung sichtbare Befreiungslehre [ehi passika]
„Komm zur Wirklichkeitslehre und sieh selbst“ (ehi-passika) macht darauf aufmerksam, dass die Lehre ein Instrument ist, das auf die Wirklichkeit angewandt werden muss, um uns zum Sehenden zu machen. Kein Buddha, kein großer Lehrer oder anderes große Wesen kann uns die Einsicht übertragen. Nur das Anwenden und Praktizieren nach der Lehre macht uns zum Sehenden. Nur die tägliche Anwendung bringt uns in Kontakt mit der eigenen Wirklichkeit und führt damit zu wichtigen Erkenntnissen über Bedingungen von Leiden und deren Bewältigung.
Die Lehre des Buddha von den täglichen Betrachtungen über Alter, Krankheit, Tod, Verlust und Karma fordert uns z. B. auf, uns täglich mit Daseinsgesetzen zu konfrontieren. Wir alle sind dem Prozess des Alterns, der Krankheit, dem Tod, dem Verlust von Liebgewonnenen unterworfen. Mit der täglichen Betrachtung lernen wir uns von Illusionen wie z. B. der Unsterblichkeit und der Vorstellung eines festen ICHS zu befreien. Wir werden dann nicht mehr von diesen unvermeidlich alle treffenden Dingen erschüttert. Eine fünfte Betrachtung sagt, dass wir dem Karma unterworfen sind und diesem nicht entgehen können. Nach dem Karma-Gesetz sind wir das Produkt unserer eigenen heilsamen und unheilsamen Absichten. Das bedeutet: All unser heilsames und unheilsames Denken wirkt sich auf uns aus. Wenn wir die Karma-Lehre anwenden und praktizieren, lernen wir zu sehen, dass alle grundlegenden Probleme des Daseins jeder Zeit Spiegel unseres Geistes, Produkt unserer eigenen Absichten verbunden mit negativen, unheilsamen Bewusstseinsfaktoren wie Anhaftung, Aversion und Illusion sind. Genauso lernen wir: Jede Befreiung ist mit der Entwicklung von heilsamem Willen verbunden mit Geisteskräften wie Achtsamkeit, Energie, Vertrauen, Weisheit und Unerschütterlichkeit. Der Buddha sagt: „Von unserem Geiste gehen die Dinge aus, sind geist- geformt und geist- gemacht.“

5. Die an keinen Zeit gebundene jederzeit wirksame Lehre [akalika]
Wenn wir der Lehre nach die eigene Natur der Wirklichkeit tiefer betrachten wollen, dann sollten wir nach den jederzeit wirksamen Gesetzen fragen, die an keine Zeit gebunden und jederzeit wirksam sind. Wir können dazu fragen: Was sind wir in der Zeit? Können uns bedingte Dinge dauerhaft befriedigen? Gibt es echte persönliche Kontrolle über bedingte Dinge der Wirklichkeit? Was kann uns wirklich befreien? Die erste Frage nach unserem Sein in der Zeit führt uns zum Gesetz der Vergänglichkeit der bedingten Dinge (anicca). Es zeigt uns, dass alle bedingten Dinge unseres Lebens in einem flüchtigen Strom eingebunden sind, in einem ständigen Kommen und Gehen begriffen sind. Wir können dieses Gesetz in keiner Form aufheben. Das zweite Gesetz über die Unvollkommenheit der Dinge (dukkha) zeigt uns, was immer wir auch unserem bedingten Lebens abgewinnen (wie Glück, Gesundheit, Erfolg, Macht, Anerkennung, Reichtum und Beziehungen, sie alle sind dem Gesetz der Vergänglichkeit unterworfen und damit ungeeignet uns grundlegende Lebensorientierung zu geben, uns von den großen Existenzängste und Leiden zu befreien. Wir sollten uns der Natur der Unvollkommenheit der bedingten Dinge immer gewahr sein, um uns nicht zu täuschen. Das dritte Gesetz von der Substanzlosigkeit der Dinge (anatta) sagt uns, dass alle Dinge leer von fester Kontrolle durch ein Selbst sind. Die Vorstellung einer dauerhaften Kontrolle der bedingten Dinge durch ein Selbst oder eine Person, ist reine Illusion. Ein unerleuchteter Geist mit der Vorstellung eines ICHS ist immer wieder Quelle für Täuschungen, es gäbe eine feste und dauerhafte Kontrolle über die bedingte Welt. Er wird auch immer wieder erschüttert von Alter, Krankheit, Verlust und Tod. Er verdrängt die Tatsachen der Daseinswirklichkeit, dass alle Phänomene - eingeschlossen unser Geist und Körper - bedingt sind und damit keinen festen Bezug auf „uns“ haben. Selbst Nirvana kann nicht in Besitz genommen werden. Das vierte Gesetz von der Befreiung (nirvana) sagt uns, dass Befreiung in der Loslösung von der Anhaftung an den bedingten Dingen besteht. Befreiung besteht in der Aufgabe der Illusionen über die falsche Natur der Dinge und in dem nicht mehr Anhaften an den bedingten Dingen und in der Überwindung der Wurzelursachen der Anhaftungen an den Dingen, der Überwindung unserer negativen Geisteskräften wie Gier, Hass und Verblendung. Zum Loslassen führt der Weg der Entwicklung von Ethik, Sammlung und Weisheit.

6. Die zum Befreiungsziel führende Lehre [opanayika]
Die Lehre führt uns zum Befreiungsziel, wenn wir sie ernsthaft praktizieren. Wesentlich für eine „ziel-gerichtete“ Praxis ist Hingabe und das Vertrauen. Sie sind schon immer der Motor für die Entwicklung von Menschen gewesen. Kein Mensch kann ohne Hingabe und Vertrauen etwas Bedeutendes schaffen. Nur dadurch dass wir unseren Eltern und Lehrern tief vertraut haben und wir immer wieder mit Hingabe versucht haben als Kindern zu lernen, haben wir unsere Sprache und vieles andere mehr gelernt. Gerade aus dieser Erkenntnis der Wirkung von Vertrauen und Hingabe sollten wir auch der Lehre als zum Ziel führend vertrauen, auch wenn wir nicht immer alles gleich schon verstehen. Diese Hingabe kommt besonders in den Lebensmodellen von Mönch und Nonne zum Ausdruck. Jenseits von Geld, Beruf, Familie, sexuellen Beziehungen zu leben bedeutet, eine besondere Hingabe-Praxis.
Vertrauen in die Buddhalehre ist für uns alle eine große heilsame Kraft, eine Art ständige Zufluchtnahme zur Befreiungslehre. Wohin sich der Geist ausrichtet, dahin neigt er sich.
Durch die ständige Zufluchtnahme zur Lehre bewegen wir uns automatisch der Befreiung zu. Ich bin mir ganz sicher, wenn wir in schwierige Lebenslagen kommen wie z. B. einer schweren Krankheit und dem bevorstehenden Tod, dann brauchen wir einen unerschütterlichen Geist, der wie der Buddhageist jederzeit im Gleichgewicht bleibt, nicht haftet an dem bedingten Körper und bedingten Geist oder den Beziehungen zu anderen oder der Zukunft und an den Formen der Kultur: Dieser am Ziel stehende Geist hat einen feinen freien und friedvoll ruhenden, glücklichen Zustand, egal was kommt.

7. Die von Weisen geteilte Lehre [paccattam veditabba vinnuhi]Der Buddha selbst wird im Kalama - Sutta von vielen Menschen gefragt, wie sie mit der Vielfalt von Wahrheitsansprüchen verschiedenster Lehrer umzugehen haben. Der Buddha stellte in dieser Situation nicht seine Lehre gegen die der anderen Lehren, sondern gab den Menschen eine Methode zum eigenverantwortlichen Prozess der Wahrheitsfindung

Seine Antwort auf die Frage ist, dass man nicht nur nach Hörensagen, Überlieferung, nicht nach Tagesmeinung, nicht nach Autorität, heiligen Schriften, nicht nach reinen Vernunftgründen und logischen Schlüssen gehen soll. Buddhas Antwort verneint damit die unmündige Wahrheitssuche wie wir sie heute auch häufig finden. Gerne wollen wird etwas für wahr halten, weil es in einer Tradition und Schule so gesagt wird oder in unserer westlichen Kultur so gängig ist. Oder viele von uns berufen sich auf große spirituelle Lehrer und Autoritäten oder auf Gehörtes oder heut zutage auf geschriebene Texte oder Wahrheitsfindung durch einseitige Textauslegung von Wissenschaftlern oder logischen Schlussfolgerungen ohne eigene Erfahrungsprozesse. Das Verlassen auf unmündige Formen der Wahrheitsfindung endet jedoch immer in einem Haften an einem Dogma, einem blinden Glauben, indem wir bestimmte Texte oder Interpretation als wahr setzen oder uns blind auf Autorität verlassen. Der reine Glauben an Tradition, an Geschriebenes oder Autoritäten ist eine Form des Abbruchs eigenverantwortlichen Bemühens um Wahrheit durch eigene Erfahrung.
Diese Erkenntnis sollte uns aber auch nicht zum anderen Extrem bringen: Alles in Zweifel zu ziehen und nichts mehr zu glauben. Der Buddha macht deutlich, dass wir jederzeit den Weisen vertrauen können, die selbst im Inneren die Lehren nachvollzogen haben. An dieser Stelle sollten wir immer wieder prüfen, ob die verschiedenen Vorbilder auch Erfahrungen besitzen, die sich nicht nur in Anspruch und schönen Reden, sondern auch im ganzen Verhalten ausdrücken.


8. Buddhismus im Westen
Wie lässt sich der Buddhismus hier im Westen integrieren? Bei dieser Frage dürfen wir nicht die Rahmenbedingungen unserer westlichen Kultur wie z.B. Muttersprache, moderne Wissenschaften, Aufklärungsphilosophie und christlicher Werte-Erziehung unberücksichtigt lassen. Sie alle haben uns Westler zugegeben stark geprägt. Sie nicht zu berücksichtigen ist gleichbedeutend mit dem aussichtlosen Versuch einen Samen ohne die hier verfügbare Erde einzupflanzen.
Auf der anderen Seite haben die verschiedenen authentischen Schulen und Traditionen die Kernaussagen des Buddha lebendig und einfühlsam überliefert. Sie bilden einen großen gelebten Schutz gegen die Erosion der buddhistischen Wahrheiten durch Neu- Schöpfungen und Umdeutungen. Ihre unterschiedlichen Betonungen von Meditationstechniken und buddhistischen Inhalten helfen unterschiedlichen Menschen zu einem Einstieg in den buddhistischen Weg und in die Einsicht der gemeinsamen Grundwahrheiten. Dass dieser Konsens der verschiedenen Schulen in der Vielfalt bereits gelebt wird, wurde wieder in der Neuformulierung des buddhistischen Bekenntnisses in der Mitgliederversammlung der DBU deutlich. So konnte das Bekenntnis einstimmig überarbeitet werden und die wichtige Nicht-Ich-Lehre neu aufgenommen werden. Möge in der lebendigen Vielfalt der Praxis des Buddhismus die Einheit der Kernlehre lebendig bleiben.