1. Die Farben des Lebens
2. Die karmische Ausstattung
3. Spektrum der Qualität
4. Kratziger Schlafanzug
5. Die Welt zu streicheln

Ashin Ottama. Die Farben des Lebens

Herausgeber
Theravadanetzwerk der DBU
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© D.B.U. 2005

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1. Die Farben des Lebens

Die Leiterin einer Spezialschule für problematische Kinder hat probeweise auch eine kurze Mettameditation (Meditation der universellen Liebe) in das Unterrichtsprogramm eingefügt. Um leichter in die schöne und wohltuende Atmosphäre der liebenden Zuwendung zu kommen, instruiert sie die Kinder, zuerst irgendein schönes Erlebnis ins Gedächtnis zu rufen, bei welchem sie tief und restlos glücklich waren. Ein Junge aus der Klasse bemüht sich aufrichtig, kann sich jedoch an kein solches Ereignis erinnern. Die Leiterin ermutigt ihn tiefer in die Schatzkiste seiner eigenen Erfahrungen hinzuschauen: "Sicher war auch in deinem Leben ein Moment, wo du dich so sehr glücklich gefühlt hast..." Einige Tage geschieht nichts, dann plötzlich rennt der Junge siegreich in den Lehrerraum hinein: "Frau Lehrerin, Frau Lehrerin, ich hab's, ich hab's! Es war letztes Jahr, als wir mit den Kumpeln das Tabakhäuschen am Bahnhof angezündet haben!"


Es ist so. Freude hat keinen direkten Zusammenhang mit bestimmten Situationen, ist nicht an gewisse Objekte gebunden. Sie kommt vielmehr spontan mit den aufsteigenden Bewusstseinsarten und den begleitenden Gefühlen. Die in unserem Geiste unaufhörlich aufsteigenden angenehmen und unangenehmen Gefühle sind wie Farben auf der Malerpalette, die den Reichtum unseres Lebens ausmachen. Ja, sogar 'reich sein' selbst ist viel mehr ein Gefühl als eine äußere, objektive Tatsache.
Die angenehmen und unangenehmen Gefühle beeinflussen unser Leben sehr, sie stehen jedoch in keinem direkten Zusammenhang mit der Qualität unseres Lebens. Die Gefühlsbilanz mag bei einzelnen Menschen ganz unterschiedlich ausfallen; einige Leute fühlen sich überwiegend glücklich oder eben unglücklich. Jedoch über die wirkliche Qualität des Lebens sagt diese Tatsache alleine noch nicht viel aus. Menschen auf dem spirituellen Weg wissen oder ahnen es deutlich, dass es vielmehr darauf ankommt, wie wir uns zu den angenehmen und unangenehmen Erlebnissen und Situationen stellen und wie gut wir diese Ereignisse für die eigene Entwicklung zu nützen vermögen.

2. Die karmische Ausstattung
Für die angenehmen oder unangenehmen Umstände unseres Lebens ist auch unser Karma weitgehend verantwortlich. So können wir manche erfreulichen Erlebnisse auch als wohl verdiente Geschenke aus unserer eigenen Vergangenheit verstehen.
Wenn unser gutes Karma Früchte trägt, werden uns Glück, Fülle und Wohlergehen begleiten – sei es auf der Gefühlsebene, auf der Ereignisebene, oder eben auf beiden. Vielleicht können wir die Wirkungen und Einflüsse des Karma auf unser Leben noch breiter auffassen: gutes Karma öffnet uns den Zugang und verbindet uns mit erfreulichen Umständen und Ereignissen. Negatives oder unvorteilhaftes Karma drosselt und erschwert uns den Zugang zu Freude und Genügsamkeit. (Eigentlich man sollte hier nicht das Wort 'Karma' sondern 'vipaka' = Auswirkung des Karma verwenden.) Es ist nicht so, dass in der Welt um uns herum ein Mangel an Möglichkeiten oder eine andauernde Knappheit herrschen würden. Das Universum hat von allem genug. Aber unseres Karma wegen sind wir vielleicht nicht im Stande unseren Vorteil wahrzunehmen, eine Verbindung zu unserem Wohl aufzubauen oder es zu empfangen. Aus der Vielfalt von Möglichkeiten um uns herum nehmen wir wahr und wählen dann das düstere, bedürftige, leidvolle und unvorteilhafte – falls wir überhaupt noch eine Wahl haben. Karma hat einen enormen Einfluss auf unser Leben. Gutes Karma zu schaffen ist deswegen dringend zu empfehlen. Und wie? Nicht die Philosophen, vielmehr die Kinder wissen es klar: sich von keinen negativen Emotionen, Gier, Dummheit, Faulheit oder Trägheit motivieren lassen, sondern auf positives, mitfühlendes und intelligentes Denken, Reden und Handeln umsteigen. Gerade jetzt!
Wie auch immer, unser möglichst häufiges Erlebnis der Freude ist ein wichtiger Balsam auf die Schläge des tobenden Samsara. Seien wir aber im Klaren: Freude alleine ist noch kein wirkliches Heilmittel!

3. Spektrum der Qualität
Wir wissen es: Die Genussfreude hat keine Weisheit in sich. Sie ist halbblind. Es ist das bloße zeitweilige Verdrängen der zweiten Hälfte der weltlichen Wirklichkeit: der Unzulänglichkeit. Deswegen ist dieses Vergnügen so begrenzt, so unbeständig, so wenig erfüllend. Derartige Freude trägt zu unserer Wesensreife überhaupt nicht bei. Sie macht uns eher mit den Petas (hungrigen Geistern) gleich.
Die 'himmlische' Freude ist dagegen schon etwas anderes. Sie ist erfrischend und reinigt den Geist. Es ist wie das Wiederfinden der Wurzeln des Lebens, das wahre 'zu Hause', ein Bad im strahlenden Licht, das unser Herz besänftigt und stärkt: das Ego lockert dabei seinen würgenden Griff. Ein Blick in die Augen des kleinen Kindes, eine blühende Wiese, die Poesie einer beliebten Dichterin, Schönheit der Natur, gute Freundschaft ... Diese Freude ist eine tiefere Berührung mit den Wurzeln des Lebens, verleiht uns innere Geräumigkeit, Zufriedenheit, Herzensruhe und Frische.
Die göttliche Glückseligkeit lässt alles derartige weit zurück. Die Subtilität und Erhabenheit der Seligkeit ist von einer anderen Dimension - alle Gleichnisse und Vergleiche schlagen fehl. Wellen der Wonne ergreifen das Feinmaterielle unversiegbar...

4. Kratziger Schlafanzug
Ajahn Buddhadasa hat zum Thema der Freude gelegentlich auch recht bildhafte Ausdrücke verwendet: 'Freude, die ihren Eigentümer beißt ' und 'Freude, die ihren Eigentümer nicht beißt'. Sinnliche Freude wird im Buddhismus häufig mit Schuldenmachen verglichen: die Schulden beißen ihren Eigentümer wie ein Pyjama aus Brennnesselstoff. Auf der anderen Seite Freude, die aus Selbstdisziplin und ethischer Rücksicht sowie Besinnung kommt, die tut allerhand wohl.
Freude aus Selbstlosigkeit, und sei sie nur ein gelegentlicher Gast in unserem Geiste, solche Freude beißt niemanden. Freude, die Großzügigkeit begleitet, Freude, wenn wir zum Glück der anderen Menschen beitragen konnten, Freude aus mentaler Reinheit, Klarheit und Integrität – das ist ein wahrer Segen für dieses Leben aber auch dann danach.
So auch, wenn wir die vier brahmavihara in unserem Herzen richtig entfalten: die universelle Liebe, universelles Mitfühlen, universelle Mitfreude und gleichmütige Ausgeglichenheit. Diese vier inneren Haltungen können eine Quelle von unermesslichem Segen sein. Eine große Durchlässigkeit des Ego-Panzers stellt sich ein, Erlebnisse des Einsseins, der Einheit und Grenzenlosigkeit überwältigen den Geist. Da wachsen wir sogar über unser menschliches Format hinaus. Hier aber wird der Begriff 'Freude' zunehmend untreffend und unzureichend.
Es ist ein riesengroßer Umfang der Freude, was der menschliche Geist erfahren kann: von dem sinnlichen Vergnügen bis zu den höchsten überweltlichen Arten der Glückseligkeit. Und doch weisen alle diese Arten von Freude, wie auch immer sie strahlend und selbstfrei sein mögen, eine gemeinsame Tatsache auf: sie sind bedingt, ein weltliches oder überweltliches Gefühl begleitet sie.

5. Die Welt zu streicheln
Im Bereich der Buddha-Lehre wird die subtile Freude aus der Befreiung immer am höchsten angesehen. Es ist das unausdrückliche, unbeschreibliche Wohl der Genesung, des Verheilens, des allumfassenden Nicht-Haftens. Unausdrückliches und Unbeschreibliches nicht wegen irgendeiner vollständigen Fremdartigkeit oder Exotik eines solchen Zustands, sondern wegen dessen ungeahnter, unvorstellbarer Selbstverständlichkeit und Selbstevidenz, die sich eben in der Gegenrichtung des Greifens und des begrifflichen Denkens befindet. Wenn die Wunde des bedingten Samsara am verheilen ist, schwinden auch alle Wege des konzeptuellen Erfassens und Beschreibens – und parallel damit auch der Wunsch oder das Bedürfnis danach.
Ein gründliches Erkennen und Anerkennen der Umstände, wie sie sind; sehr konsequentes sanftes Loslassen, panoramaartiges Gleichgewicht... Das Loslassen bezieht sich gewiss auf die wahrgenommenen Objekte, noch mehr jedoch auf die unterschwelligen Triebe und Neigungen. Die wirkliche Befreiung kommt von sehr tief unten. Manchmal entwickelt sich auch ein starkes intuitives Vertrauen, dass die Dinge selbst von sich aus eine natürliche Neigung haben, sich in der richtiger Weise zu ereignen. Diese neue Sichtweise strahlt eine enorme Erleichterung aus. Sie bewirkt eine Ausweitung der Freiheit auf 360 Grad und gegebenenfalls auch ein kaum wahrnehmbares Lächeln. Das eigene Tun und Lassen badet in völliger Freiwilligkeit.
Derartige Erlebnisse subtiler Freude, Freiheit und Friedens können den Menschen - je nach Intensität - für das ganze Leben inspirieren. Jedoch ein relativ kurzes Erlebnis, wie strahlend er auch immer sein mag (z.B. sotapatti), bedeutet in der Praxis vielmehr den rechten Anfang als das Ende des Weges. Bis sich die gekostete Befreiung, verständnisvoller Überblick, Echtheit, Klarheit, Mitfühlen, grenzenlose Geduld, strahlender Frieden und allumfassendes Nicht-Haften bis in die letzten Falten des Alltagslebens voll ausbreiten mag es noch eine gute Weile gehen. Es kann sogar noch ein recht dramatisches Kapitel sein. Aber es lohnt sich tausendmal! Es wird spannend. Wenn einmal die Früchte des Weges auch die Alltagsoberfläche voll durchdringen, kommt ein wunderschöner Zustand der höchsten Wesensreife voll zum Vorschein. Und das ist die Freude der Buddhas.